Wenn Kinder ihre Fragen stellen
Eine typische Reaktion der Erwachsenen auf unerwartete Kinderfragen ist die Suche nach einer passenden Antwort – oft genug begleitet von Unsicherheit, innerer Unruhe, in der Folge davon auch von unbewussten Abwehrreaktionen oder Verlegenheit. Denn die oft sehr tiefschürfenden religiösen Fragen der Kinder treffen auf einen hier nicht einzulösenden Anspruch der Erwachsenen an sich selbst: sie wollen auf alle Fragen der Kinder gute Antworten parat haben. Kinder spüren dann sehr wohl, dass sie mit bestimmten Fragen ihre Bezugspersonen verunsichern, ziehen sich deshalb mit solchen Fragen zurück. Sie bleiben mit ihren ‚großen Fragen‘ nach Anfang und Ende der Welt, nach Gott, Himmel, Ursachen von Unglück und Leid allein.
Im Sinne des Theologisierens mit Kindern gilt es diese Bewegung umzukehren:
- Wir unterscheiden Wissens- und Nachdenkfragen:
„Wieviel Uhr ist es jetzt?“ – das ist eine reine Wissensfrage, bei der eine schnelle Antwort oft angemessen ist, wenn es z.B. um anstehende Termine geht. Oder die Kinder werden in das Ablesen der Uhr eingeführt.
„Warum kann man die Zeit nicht sehen? Was ist eigentlich die Zeit? Woher kommt sie, wohin geht sie? Was wäre, wenn es keine Zeit gäbe?“ – das sind Nachdenkfragen. Die verlangen nicht nach schnellen Antworten, sondern laden zum gemeinsamen Nachdenken auf gleicher Augenhöhe ein.
Mit der Unterscheidung zwischen Wissens- und Nachdenkfragen klären wir die angemessene Erwartungshaltung an mögliche Antworten.
- Schnelle Antworten verschließen den Gesprächsraum – der Verzicht auf sie öffnet ihn:
Wir signalisieren den Kindern, dass ihre Nachdenkfragen einen besonderen Wert haben, weil sie auf das gemeinsame Suchen nach Antworten angewiesen sind. Für solche Fragen nehmen wir uns Zeit, nehmen sie z.B. bei der nächsten passenden Gelegenheit auf, weil sie z.B. für einen kurzen Wortwechsel zwischen Tür und Angel zu schade sind. In den Gesprächen gönnen wir den Kinder Zeit für ihr Nachdenken: „Lass dir ruhig Zeit, bis deine Gedanken die richtigen Worte finden!“ - Wir laden die Kinder ein, ihre eigenen Gedanken ins Spiel zu bringen:
Wir fragen nach, wie die Fragensteller zu ihren Fragen gekommen sind, was ihnen dazu schon durch den Kopf gegangen ist, in welcher Richtung sie schon nach Antworten gesucht haben. Wer eine wichtige Frage stellt, hat sich in der Regel schon manche Gedanken dazu gemacht.
Kinder brauchen außerdem das sichere Empfinden, dass ihre Beiträge aufmerksam gehört werden. Sie müssen sich sicher sein, dass keine Abwertung und Geringachtung ihrer Beiträge geschehen wird.
- Wir bringen uns auch mit eigenen Gesprächsbeiträgen ein:
Kinder möchten gerne auch wissen, wie ihre erwachsenen Gesprächspartner über ihre Fragen denken. Wir bringen unsere eigenen Gedanken aber so ein, dass die Balance auf gleicher Augenhöhe nicht gestört wird. Das geschieht, indem wir unserem Beitrag nicht den Anschein der Allgemeingültigkeit geben, sondern ihn als unseren persönlichen Beitrag deutlich machen, der neben anderen steht: z.B. :„Mir kommt dazu in den Sinn … Kennt ihr das auch, dass …? Wie passt mein Gedanke zu euren Gedanken?“ Wir formulieren unsere eigenen Beiträge so, dass sie zugleich Impulse zum gemeinsamen Weiterdenken sind.
Notwendige Richtigstellungen gilt es behutsam einzubringen.
Die ‚großen Fragen‘ der Kinder können durchaus unterschiedliche Bereiche betreffen und bestimmen damit auch unterschiedliche Wege und Ziele solcher Gespräche.
Existentielle Fragen: Fragen nach der eigenen Identität und dem eigenen Platz in der Welt.
- Warum gibt es mich?
- Warum bin ich ein Junge und kein Mädchen (bzw. umgekehrt)?
- Warum bin ich ich und niemand anders?
- Was wäre, wenn es mich nicht gäbe?
Selbstverständliches wird auf einmal zur Frage und betrifft das eigene Ich. Die eigene Person wird zum Rätsel und auch Geheimnis. Da gilt es zuzuhören, sich selbst an solche Fragen zu erinnern – und dem Kind / den Kindern zu signalisieren: So wie du bist, ist es für mich und uns richtig und gut. Du bist für uns wichtig; so wie du bist, kennen und mögen wir dich.
Fragen nach den Ursprüngen unserer Welt: Die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung werden bis an die Grenzen der erkennbaren Wirklichkeit vorangetrieben.
- Wo kommt die Welt her?
- Gibt es das Nichts?
- Was war, bevor die Welt da war?
- Wer hat die Welt gemacht?
Kinder spüren in solchen Fragen ihre philosophische Entdeckerfreude, kosten dabei auch die Grenzen ihrer Denkfähigkeit aus. „Das kann ich nicht denken!“ sagte ein Kind einmal beim Nachdenken über den Anfang von der Welt und von Gott. Aber es war mit Feuereifer im Gespräch dabei. Hier gilt es die oft phantasievollen Antworten der Kinder zu sammeln, auch auf Ungereimtheiten und Widersprüche aufmerksam zu machen. Die Kinder lassen dann schon erkennen, wenn sie ‚philosophisch erschöpft‘, aber zufrieden das Gespräch beenden wollen.
Fragen nach Gottes Aussehen: In ihrem Bedürfnis nach Anschaulichkeit nehmen die Kinder in ihren Vorstellungen von Gott Anleihen bei ihren Vorstellungen und Erfahrungen von Menschen.
- Hat Gott auch Schuhe an?
- Wie kann Gott alle Gebete der Menschen hören?
- Wie groß ist Gott?
- Wird Gott nie müde?
- Warum kann man Gott nicht sehen?
- Ist es richtig, sich Gott wie ein menschliches Wesen vorzustellen?
In ihrem Nachdenken über Gottes Aussehen drücken die Kinder ihre Beziehung zu diesem unsichtbaren Gegenüber aus. Sie stoßen aber immer wieder angesichts der Andersartigkeit Gottes an die Grenzen ihrer Vorstellungskraft. Gespräche über Gottes Aussehen sind eine gute Möglichkeit, in den anschaulichen Bildern der Kinder von Gott der Beziehung zu ihm Ausdruck zu geben und zugleich diese Bilder immer wieder in Frage zu stellen, nach neuen und tragfähigeren Bildern Ausschau zu halten.
Fragen nach Gottes Wirken: Je mehr Kinder mit ihrer konkret-operationalen Denkfähigkeit ihre Erfahrungswelt in den Zusammenhängen von Ursache und Wirkung verstehen lernen, desto weniger passen Vorstellungen von einem unmittelbaren Eingreifen Gottes in die Welt dazu.
- Wie kann Gott gleichzeitig überall auf der Welt sein?
- Wie kommt Gott auf die Erde?
- Was tut Gott den ganzen Tag?
- Wie kann ich wissen, dass Gott bei mir ist?
- An was kann man erkennen, dass es Gott gemacht hat und nicht die Menschen?
- Arbeitet Gott so wie es Menschen tun?
Zunächst machen sich die Kinder Gedanken, wie denn Gott –anders als Menschen – überall zur gleichen Zeit wirksam sein kann und kommen zu phantasievollen Lösungsvorschlägen („Gott ist schnell wie der Blitz“; „Gott schickt seine Engel“; Gott macht sich unsichtbar“…). Später kommen Fragen, wie Gott denn tätig wurde und wird: alle naturwissenschaftlichen Erklärungen schließen Gottes Wirken aus („Wie lässt Gott denn die Pflanzen wachsen?“ „Wie schickt er den Regen?“).
Da gilt es in Gesprächen Ansätze zum Verständnis des mittelbaren Wirkens Gottes voranzutreiben: Gott wirkt durch Menschen; Gott gibt gute Gedanken; Gott sorgt dafür, dass die Naturabläufe verlässlich sind, usw.
Fragen nach dem Himmel: Herausforderung, neben dem sichtbaren (>>>) Himmel auch Vorstellungen und Ideen eines unsichtbaren Himmels zu entwickeln.
- Wo ist der Himmel?
- Wo ist in dem großen Weltall Platz für den Himmel?
- Was ist eine Seele?
- Haben Tiere auch eine Seele und ist die auch bei Gott?
- Gibt es im Himmel auch Häuser?
- Leben die Toten im Himmel so wie wir auf der Erde?
Die Frage nach dem Himmel drängt zur Unterscheidung von astronomischen und religiösen Vorstellungen, denn die Vorstellungen vom Himmel als dem Wohnort Gottes und der Engel als auch der Vorstellung vom Ort der Verstorbenen geraten in Konflikt mit den wachsenden naturkundlichen Kenntnissen. Ziel ist es, in vielen Gesprächen Abschied nehmen zu lernen vom räumlich über uns gedachten ‚Gottes- Himmel‘. Zugleich gilt es ‚Himmel‘ als Ort der unsichtbaren Jenseitigkeit, der ‚Transzendenz‘ Gottes – auch in neuen anschaulichen Bildern – zu bewahren („Gottes Himmel ist wie eine unsichtbare Hülle um die Welt“ usw.).
Fragen nach dem Unheil und Bösen in der Welt: Diese Fragen stellen wohl die größte Herausforderung dar. Enttäuschungen über erfahrenes Leid drängen zu Fragen, was denn überhaupt von Gottes Wirksamkeit zu halten ist.
- Warum gibt es böse Menschen?
- Warum lässt Gott zu, dass Kriege sind?
- Warum geschehen so viele Unfälle in der Welt?
- Hat Gott auch die bösen Menschen lieb?
- Warum müssen Kinder sterben?
- Warum gibt es Krankheiten, warum müssen Menschen sterben?
In Gesprächen mit den Kindern gilt es sich voranzutasten zu Vorstellungen und Überzeugungen einer Gottesbeziehung, die Erwartungen an eine unmittelbar wirksame göttliche Allmacht hinter sich lassen kann. Anstelle von Erwartungen, dass Gott alles als negativ Empfundene beseitigen kann, gilt es Vorstellungen von Gottes stärkender Begleitung in Herausforderungen, Not und Erfahrungen des Bösen zu finden(>>> Resilienz, Gebet, Allmacht Gottes).
Vorstellungen von Jesus: Die biblischen Geschichten gehen dem Besonderen an Jesus nach, und in Gesprächen versuchen die Kinder, dem mit ihren eigenen Worten und Vorstellungen näher zu kommen.
- Hat Jesus Krankheiten weggezaubert?
- Warum war er so anders als andere Menschen?
- Wie konnte er Gottes Sohn sein?
Die Jesusgeschichten bieten viele Anlässe zu Gesprächen, in denen die Kinder das zu umkreisen versuchen, was sein besonderer Auftrag von Gott war. Aus vielerlei Erzählfacetten können sie ein Bild davon gewinnen, wie Jesus mit seinem Wirken auch die Vorstellungen und Bilder von Gott mitgeformt hat.