Bartimäus geht mit nach Jerusalem
Bartimäus
Im Evangelium des Markus geschieht die letzte Begegnung Jesu mit einem Kranken, dem er sich heilend zuwendet, in Jericho, unten am Jordan, bevor es dann – von der Menge umjubelt - hinauf und hinein nach Jerusalem geht.
Jesus ist mit seiner Jüngerschar schon dabei, die Stadt Jericho zu verlassen, als ein Mann laut rufend auf sich aufmerksam macht. „Jesus, du Freudenbringer, geh nicht weg, ohne mir zu helfen! Wir setzen doch alle Hoffnungen auf dich als unseren neuen König. Du bringst das Licht in unsere Dunkelheit. Geh nicht weg, ohne auch mir dieses Licht zu schenken! Lass es in meinem Leben hell werden! Du Gesalbter Gottes, du Sonne der Gerechtigkeit, erbarme dich über mich! Ich brauche dein Gotteslicht, das mich heil und gesund macht, du allein kannst es mir schenken!“
Immer lauter ruft dieser Mann. Jesus bleibt zögernd stehen und die Leute aus Jericho, die ihn aus der Stadt hinaus geleiten, sagen: „Das ist der Sohn des Timäus. Der klagt oft über seine Blindheit und die Dunkelheit in seinem Leben. Wir können das schon gar nicht mehr hören Er muss doch selber schauen, wie er mit seiner Dunkelheit zurechtkommt“. Andere rufen zu Bartimäus zurück: „Halt doch endlich deinen Mund! Musst du uns auch jetzt noch mit deinem Geschrei belästigen?“
Jesus bleibt stehen und sagt zu seinen Jüngern: „Dieser Bartimäus erwartet von mir genau das, was ich ihm geben kann: Licht zum Leben, das ihm aus seiner Dunkelheit heraushilft, das ihm Anteil gibt an dem Licht, das Gott uns schenkt. Das ist mein Auftrag von Gott, auch in ihm dieses Licht zu entzünden. Es soll auch ihm Zuversicht geben. Es soll auch ihn sehend machen für das Hoffnungsvolle in der Welt.“
Immer lauter ruft der Blinde: „Du König all unserer Hoffnungen, du Gesalbter Gottes, erbarme dich, mache auch mich zu einem sehenden Menschen!“
Jesus sagt laut: „Schickt ihn her zu mir!“ Bartimäus hört dies, springt auf und rennt dahin, wo er Jesus wahrnimmt. Dann ist er bei ihm, und Jesus fragt ihn: „Was erwartest du von mir?“ Bartimäus antwortet aus tiefstem Herzen: „Nur eines, dass es in mir wieder hell wird, dass mit dem Licht die Freude in mein Leben zurückkehrt, dass ich wieder dazugehöre zur Gemeinschaft mit den anderen und mit Gott. Hilft mir, dass ich wieder sehen kann!“
Und Jesus schenkt ihm das Licht, das sein Leben neu werden lässt.
Noch eine Bitte hat Bartimäus: „Du hast mir die Augen geöffnet für das, was du uns im Namen Gottes schenkst. Deshalb möchte ich gerne bei dir bleiben und zu deinem Jüngerkreis dazugehören“. Und so zieht er mit den anderen hinauf nach Jerusalem und erlebt mit, was dort geschieht.
In Jerusalem
Obwohl wir im Markusevangelium nichts mehr von Bartimäus erfahren, gehe ich davon aus, dass er dabei war, bei dem Geschehen in Jerusalem. Und so stelle ich mir vor, dass er auch am Abend des Karfreitags dabei ist. Die Männer und Frauen, die mit Jesus nach Jerusalem mitgegangen waren, sitzen wieder beisammen – jetzt in düsterer, in gedrückter Stimmung. Schweigen lastet über der Gruppe. Die Frauen, die bis zur Kreuzigung mitgegangen waren, erzählen stockend von dem, was sie mit ansehen mussten.
Auch Simon Petrus erzählt von den dunkelsten Minuten in seinem Leben, als er im Hof des hohenpriesterlichen Palasts aus Angst vor einer Verhaftung seine Freundschaft mit Jesus verraten hat. „Ich habe ja im Hof das Verhör von Jesus mitverfolgen können“, erzählt er. „Die Mitglieder des Hohen Rats wollten Jesus noch eine Brücke bauen und ließen durchblicken, ihn bei einem Widerruf seiner Behauptungen Freiheit und Leben zu schenken. Er sollte sagen, dass sein Auftrag von Gott ein Irrtum gewesen sei, dass er sich das nur angemaßt hätte, dass ihm dazu jegliche theologische Legitimität fehle, dass er all die theologischen Irrtümer, die er in die Welt gesetzt hat, bereue. Aber das hat er nicht getan. Er hat vielmehr in aller Klarheit dem Verhörkollegium gegenüber diesen Auftrag bekräftigt.“
Petrus macht eine Pause und fährt dann fort: „Er war so mutig und konsequent, und ich war so feige“. Dann schweigt er.
Ein anderer sagt nach einer langen Pause: „Das ist dann wohl das Ende unserer wunderbaren Geschichte mit Jesus, mit unseren Wanderungen durch die Dörfer und Städte am See Genezareth, mit seinen Worten und Taten, die uns immer wieder neu die Augen öffneten für seine Botschaft von Gott. Warum nur musste es so kommen? Warum nur hat er sich in den Kopf gesetzt, nach Jerusalem zu gehen? Er kannte doch die Gefahren, die hier auf ihn warteten! Aber das gehörte wohl auch zu seinem Auftrag.“
Da schaltet sich Bartimäus ins Gespräch ein: „Ich weiß wohl, dass seine Standhaftigkeit seinen Tod besiegelt hat. Aber als du, Simon, vom Verhör berichtet hast, hat es mich innerlich gepackt: Was wäre gewesen, wenn er widersprochen hätte? Dann wäre er jetzt zwar ein freier Mann unter uns. Aber alles, was er an Licht in die Welt gebracht hat, wäre in die Dunkelheit eines Missverständnisses zurückgefallen. Es wäre für mich die Rückkehr in meine Dunkelheit gewesen. Ehrlich gesagt, ich bin froh und dankbar dafür, dass er nicht widerrufen und seinen schrecklichen Tod auf sich genommen hat. Er hat die Tür zum Leben, die er uns geöffnet hat, nicht wieder zugeschlagen. Er hat das Licht, das er mir in Jericho geschenkt hat, nicht wieder ausgelöscht. Er hat die Worte voller Vollmacht und Gotteskraft, mit denen er so viele Kranke und Bedrängte ins Leben zurückgeführt hat, nicht für ungültig erklärt. Mit seinen Worten im Verhör hat er seiner Botschaft einen letzten und endgültigen Nachdruck gegeben. Für seine Treue zu seinem Auftrag ist er gestorben, für das Licht, das er mir geschenkt hat. Für uns alle, denen uns seine Botschaft von Gott eine neue Lebensperspektive gegeben hat, ist er gestorben. Für uns alle hat er Leiden und Tod auf sich genommen“.
„Aber ist er nicht gerade damit gescheitert?“ wirft ein anderer fragend ein. „Seine Stimme ist nun erloschen. Der Gottesbote ist verstummt. Er blieb konsequent, ja.“ Und nach einer Pause folgt noch der Satz: „Sein Auftraggeber scheint ihn wohl im Stich gelassen zu haben“.
„Das kann nicht sein“, antwortet Bartimäus. „Was Jesus getan hat, macht Gott nicht rückgängig. So wie Jesus in Gottes Auftrag Menschen ins Leben geführt hat, so wie er uns aus der Dunkelheit ins Licht geleitet hat, so wird auch Gott Jesus in allem, was er getan und bewirkt hat, aus der Dunkelheit seines Todes in ein neues und großartiges Licht führen, größer und herrlicher, als wir es uns vorstellen können“.
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