Evangelisch (Was ist typisch evangelisch?)
Situationen und Anlässe
- Kinder besuchen evangelische und katholische Kirchen, nehmen Unterschiede wahr und fragen nach den Gründen
- Kinder entdecken konfessionelle Unterschiede im Feiern bestimmter kirchlicher Feste
- Kinder hören, wie von evangelischer und katholischer Zugehörigkeit gesprochen wird und fragen nach deren Bedeutung
Informationen
Die Worte „evangelisch“ und „katholisch“ sind viel mehr als die Bezeichnung der beiden größten christlichen Konfessionen. Sie benennen auch die geschichtlichen Wurzeln der Konfessionen mit all dem, was sie bis in die Gegenwart hinein bestimmt. Es geht deshalb nicht um Abgrenzung der Kon-fessionen voneinander, sondern – in diesem Artikel - um das Verständnis des ‚Evangelischen‘ als eine wesentliche Sichtweise des Christlichen von seinen Wurzeln in der Reformation bis in die Gegenwart. Dabei ist auch zu bedenken, dass im Verlauf der konfessionell-ökumenischen Beziehungen viele Impulse des ‚typisch Evangelischen‘ auch in katholischen Gemeinden wirksam geworden sind und umgekehrt. So sind viele Merkmale des Evangelischen heute nicht nur im Sinn von Alleinstellungsmerkmalen der evangelischen Kirchen und ihren Gemeinden zu verstehen. Es geht vielmehr um Aspekte des Christlichen, die von der Reformation an in evangelischen Gemeinden in besonderer Weise gepflegt wurden und dabei auch das gemeinsame Christliche in allen Konfessionen bereichert haben.
Bibelorientierung
Das Wort ‚evangelisch‘ leitet sich von →‚Evangelium‘, der ‚frohen Botschaft‘ ab. Evangelien werden die vier Schriften des Neuen Testaments (→ Bibel) genannt, die vom Leben und Wirken Jesu berichten. Schon im frühen Mittelalter wurde das ganze Neue Testament ‚Evangelium‘ genannt. Martin Luther ging noch weiter, bezeichnete die ganze Bibel als sein „liebes Evangelium“. Er verstand alle biblischen Inhalte von dem her, was er als Kern aller biblischen Schriften verstand: die frohe Botschaft von Jesus Christus- Für ihn war zentral, dass diese Botschaft den Glaubenden eine Gottesbeziehung ohne Angst und mit viel Vertrauen und Zuversicht eröffnet. Dieses Bibelverständnis war die Kraftquelle seiner Kirchenkritik, mit der er das im Laufe der Jahrhunderte entstandene Gefüge kirchlicher Traditionen in Frage stellte.
‚Typisch evangelisch‘ ist der Rückhalt an der befreienden biblischen Botschaft mit all ihren Facetten in den viele biblischen Schriften. An ihr haben sich alle christlichen Traditionen zu messen. „Wort Gottes“ meint für Luther dabei nicht ein wortwörtliches Für-wahr-Halten jeder einzelnen biblischen Aussage. Mit seinem Leitwort „Allein die Schrift – sola scriptura“ bezeichnete er das Ringen um das angemessene Verständnis des Evangeliums in der Spannung zwischen dem Kern der ‚Frohen Bot-schaft‘ und den vielfältigen Facetten in den vielen biblischen Büchern. Es ist auch die Spannung zwischen dem von den biblischen Autoren Geschriebenen und der je neuen aktuellen Bedeutung, die um Auslegen der biblischen Schriften zu gewinnen ist.
‚Typisch evangelisch‘ ist dabei auch die lange Tradition der wissenschaftlichen Erforschung der bibli-schen Schriften, auch der vielen regelmäßigen Bibelseminare und –gespräche („Bibelstunden“) in den Gemeinden. Dazu gehören ganz besonders die sonntäglichen Predigten, die sich nach einem festgelegten Auswahlplan den biblischen Texten widmen.
‚Typisch evangelisch‘ ist auch die Tradition, biblische Geschichten zu erzählen, samt der Vielfalt von Erzählsammlungen und Kinderbibeln bis hin zu den verschiedensten Bibelausgaben für die Erwach-senen.
Evangelium als Geschenk
Worum geht es in dem im Sinne der Reformatoren verstandenen Evangelium? Es ist das Geschenk des Lebens als ein Geschenk von Gott, das jedem Menschen unabhängig von seinen persönlichen Leistungen zugesprochen ist. Es ist ein Geschenk „ohn all Verdienst und Würdigkeit“ (M.Luther). Sich von Gott ohne Vorbehalte und Bedingungen anerkannt und geliebt zu wissen, das ist in dieser Sicht die eigentliche Lebensenergie. Hilfreich ist dabei die Unterscheidung zwischen Subjekt und Person: Als Subjekt gilt es das eigene Leben zu gestalten, es aktiv zu verwirklichen und auch die an es gestellten Aufgaben zu erfüllen. Person zu sein heißt, Menschenwürde in sich zu tragen, ins Leben gerufen zu sein und in diesem göttlichen Ruf grenzenlose Wertschätzung zu erfahren.
Evangelisch leben heißt damit, zuversichtlich diesem Ruf zu folgen und so ‚heil‘ zu sein, ganz unmit-telbar aus der geschenkten Gnade heraus zu leben.
Martin Luther nannte es „allein aus Gnade“, „sola gratia“. Für die Reformatoren und die evangeli-schen Traditionen entfiel damit alles, was dem unmittelbaren Heilszuspruch im Wege stand. Das machte auch Vermittlerinstanzen überflüssig, die diesem Heil besondere Kraft und Wirkung geben sollen:
- Heiligengestalten, die man um Fürsprache bitten konnte und denen deshalb besondere Verehrung zukam. Das gilt auch für Maria, die Mutter Jesu und die mit ihr verbundene Marienfrömmigkeit. Als Vorbilder des Glaubens finden sie hohe Anerkennung, aber nicht als Vermittlerin der göttlichen Zuwendung.
- Sakramente, in denen kraft kirchlicher Autorität mit bestimmten Vollzügen besondere Heilskraft wirksam wird: Zu den vorreformatorischen Sakramenten gehören: Taufe, Firmung, Beichte, Eucharistie (Abendmahl), Trauung, Priesterweihe, Letzte Ölung bzw. Krankensalbung. Übrig blieb für die Reformatoren nur, was ganz unmittelbar in Jesu Worten selbst verankert ist: Taufe (<<<), Abendmahl, verbunden mit Beichte und Zuspruch der Vergebung.
- Gottesdienst: Im Mittelpunkt des evangelischen Gottesdienstes steht die Wortverkündigung, auch im Gemeinde- und Chorgesang. Die Feier des Abendmahls ist in dieser Ausrichtung die spürbare Zusage der Gegenwart Jesu Christi. Brot und Wein sind die erfahrbare Bekräftigung dieser Gegenwart. Nur darin liegt ihre Heilskraft als Leib und Blut Jesu Christi. Das steht im Gegensatz zu der in der katholischen Tradition praktizierten Wandlung: Mit der vom Priester vollzogenen ‚unblutigen Wiederholung des Opfertods Jesu Christi ‚ werden Brot und Wein auch gegenständlich und dauerhaft zu Leib und Blut Jesu Christi mit der damit verbundenen Heilskraft.
- Priestertum aller Gläubigen: Nach evangelischem Verständnis kommt Personen und Institutio-nen keine eigenständige Weihe zu. An die Stelle der Priesterweihe tritt die Ordination der Geistli-chen. Es ist die mit Segenszuspruch verbundene Beauftragung zum Verkündigungsdienst in den Gemeinden. Die ist seit einigen Jahrzehnten nicht auf Männer begrenzt und auch ein notwendiger Eheverzicht ist seit der Reformation hinfällig.
- Rituale und Symbole: Typisch evangelisch ist ein Misstrauen gegenüber allem, was den Heilszu-spruch an bestimmte Riten und Gegenstände zu binden droht. Es ist ein Misstrauen allem ‚Geweihten‘ gegenüber, vom Weihwasser bis zu den geweihten Hostien im Tabernakel (das ist der im Altar-raum angebrachte Aufbewahrungsort für die bei der Messfeier übrig gebliebenen geweihten Hostien)samt der Kniebeuge vor ihm und dem ‚ewigen Licht‘, von der Weihe von Gegenständen bis zu den Wallfahrten zu besonderen Kirchen.
Die Folge solchen Misstrauens ist eine gewisse Kargheit der evangelischen Traditionen. Erst langsam wuchs in den zurückliegenden Jahrzehnten ein Verständnis dafür, dass Riten und Symbole auch hilfreich im Dienst der Bekräftigung ‚evangelischer‘ Heilszusagen sein können. Verkündigung soll ja nicht nur den Intellekt, sondern den ganzen Menschen mit allen Sinnen ansprechen.
- Lieder: Am wenigsten von dem Misstrauen gegen Weiherituale und –symbole ist die Musik betroffen. So hat sich von der Reformation an der Gemeindegesang entwickelt. Neben die Bibel ist das Gesangbuch getreten. Eine reiche typisch evangelische Kirchenmusiktradition hat sich mit der Vertonung biblischer Texte entwickelt.
Eigenverantwortlich glauben
Das dritte von Martin Luther formulierte zentrale Merkmal des ‚Evangelischen‘ ist der Glaube („allein durch den Glauben“- „sola fide“). Die Verkündigung des Evangeliums zielt auf deren ganz persönliche Annahme und Wirksamkeit für das eigene Leben. Typisch evangelisch ist damit die Freiheit zum eigenen Glauben. Es gibt in evangelischen Kirchen kein ‚Lehramt‘, das differenziert vorschreibt, was zu glauben ist. Jede Christin, jeder Christ ist dazu aufgerufen, in der zur eigenen Lebensführung passenden Weise die eigene Existenz als Gottesgeschenk zu leben. So gilt es den Zuspruch der göttlichen Wertschätzung sichtbar zu machen, wie er in Jesu Wirken deutlich geworden ist. Anstelle einer elementaren Trennung zwischen Laien und Geistlichen sind alle Christen mit ihren je eigenen Gaben und Fähigkeiten zum Nachdenken über den Glauben und zur Verkündigung der biblischen Botschaft eingeladen. Das ist auch für die Mitarbeitenden in den Kitas eine wichtige Basis für ihre religionspädagogische Arbeit: Sie sind im Rahmen ihres Aufgabenbereichs in den gesamtkirchlichen Auftrag, das Evangelium weiterzugeben, eigenverantwortlich einbezogen.
Glaube und ‚gute Werke‘
Die so gegebene ‚evangelische Freiheit‘ schließt die ihr entsprechende Verantwortung ein. Von der Reformation an wurde der spannungsvolle Zusammenhang von Glauben und ‚guten Werken‘ sehr genau bedacht. Göttlicher Zuspruch kann nicht durch ‚gute Werke‘ erarbeitet werden, er bleibt immer vorbehaltloses Geschenk. Aber dieses Geschenk drängt danach, in seinen Konsequenzen deutlich zu werden. In seiner Schrift von der ‚Freiheit eines Christenmenschen‘ schreibt Luther, dass nicht gute Werke einen Menschen gut und fromm machen, sondern dass ein guter und frommer Mensch eben auch gute Werke tut.
Evangelisch ist im Unterschied zur katholischen „Caritas“ (lateinisch) der Name „Diakonie“ (grie-chisch). Da schwingt noch der Wechsel von der lateinischen Bibel zur Orientierung an der griechi-schen Ursprache des Neuen Testaments mit. In beiden Fällen ist die gleiche Aufgabe, nämlich die Fürsorge für Menschen in Not gemeint. In ihrer Geschichte bekamen die Hilfswerke der Kirchen immer wieder Impulse durch Christen, die ihr Leben in den Dienst für andere stellten und so die Verkündigung von Jesus Christus in den Taten der Nächstenliebe erfahrbar machten.
Das Verständnis von Glauben und guten Werken im reformatorischen Sinn wertete den Glauben im „Alltag der Welt“ auf. Ein Leben im Kloster als Mönch oder Nonne konnte da keine Sonderstellung mehr im Sinne einer heilsbringenden Intensivierung des Glaubens einnehmen. Das führte zur Auflösung der meisten Klöster in evangelisch gewordenen Territorien.
„Heilige christliche Kirche“
Allein der Glaube heiligt den Menschen. Kirche ist nach umfassend christlichem Verständnis die „Gemeinschaft der Heiligen“. Typisch evangelisch ist, dass diese Gemeinschaft nicht von oben nach unten, vom Papst über die geweihten Bischöfe und Priestern hin zum Kirchenvolk der Laien organi-siert ist, sondern umgekehrt von den Gemeinden ausgehend mit ihren gewählten ‚Kirchenältesten“, Kirchenvorsteherinnen und –vorstehern, Kirchengemeinderäten, Presbytern etc. hin zu Synoden auf den verschiedenen Ebenen der Kirchenleitung.
Der einen weltumspannenden römisch-katholischen Kirche mit dem Papst als „Heiligem Vater“ an der Spitze steht eine Vielfalt eigenständiger evangelischer Kirchen gegenüber. Evangelisch-lutherische Gemeinden und Kirchen stehen neben den evangelisch-reformierten, dazu kommen mancherlei evangelische Freikirchen. Miteinander verbunden sind sie in der EKD, dem Bund der evangelischen Kirchen in Deutschland. Gegenüber der römisch-katholischen Kirche fehlt die Bekanntheit und Autorität einer Leitungsperson, wie sie der Papst genießt. Die würde ja auch nicht zum evangelischen Kirchenverständnis passen.
Ökumene
Der Unterschied im Kirchenverständnis zeigt sich auch im Verständnis konfessioneller Ökumene. Katholischerseits zielen die Verständigungsbemühungen auf die Wiederherstellung der einen christlichen Kirche, evangelischerseits auf das möglichst intensiv gelebte Miteinander der verschiedenen Kirchen. Nach evangelischem Verständnis ist die eine Kirche nicht in sichtbarer Gestalt gegeben, sondern in der im Geist des einen, gemeinsamen Evangeliums gelebten Einheit. Katholisches Verständnis versteht diese Einheit auch in sichtbarer, kirchenorganisatorischer Gestalt.
Weitere Informationen: Evangelische Kirche im Plural
Als sich im Zuge der Reformation viele Gemeinden von Lehre und Organisation der römisch-katholischen Kirche trennten, stand der hierarchisch gegliederten katholischen Kirche vom Papst in Rom über die Bischöfe zu den einzelnen Pfarrgemeinden mit ihren Priestern eine Vielfalt eigenständiger evangelischer Gemeinden gegenüber. Gemeindeälteste leiteten sie, beriefen Prediger der ‚neuen Lehre‘. An die Stelle der bisherigen kirchlichen Hierarchie trat die Eigenverantwortung der Gemeinden mit ihren gewählten Repräsentanten und berufenen Pfarrern.
Die damit gegebene Vielfalt barg aber auch die Gefahr von Unübersichtlichkeit und Wildwuchs. Inspektionsreisen, die Martin Luther mit seinem engsten Mitarbeiter Philipp Melanchthon durchführte, brachte oft sehr ernüchternde Ergebnisse. Zum anderen waren die neuen ‚evangelischen‘ Gemeinden auf Verständnis und Schutz des jeweiligen Landesherrn angewiesen, konnten sich also nur in Territorien entwickeln, in denen auch der regierende Landesherr der Reformation zugetan war.
So lag es nahe, in den evangelischen Gebieten dem Landesherrn die bischöflichen Aufgaben zu übertragen und so für den Zusammenhalt und das Gedeihen der Gemeinden Sorge zu tragen. So entstanden staatlich organisierte Aufsichtsämter in den sogenannten ‚evangelischen Landeskirchen‘ als Verbund der evangelischen Gemeinden des entsprechenden Territoriums.
Neben der Wittenberger Reform um Martin Luther gab es auch andere Zentren der Reformation: In Genf wirkte Jean Calvin mit großem Einfluss auch in Westdeutschland, in Zürich Ulrich Zwingli mit seinem Wirken in der Schweiz und bis nach Süddeutschland hinein. So gab es neben den evangelisch-lutherischen Gemeinden und Kirchen auch die evangelisch-reformierten.
Durch politische Veränderungen der Territorien kam es auch zum Nebeneinander von lutherischen und reformierten Gemeinden im selben Herrschaftsgebiet. Schon ab dem 17. Jahrhundert gab es Initiativen zur Minimierung der theologischen Differenzen zwischen lutherischen und reformierten Positionen. Es entstanden evangelische Unionskirchen – am bekanntesten ist die preußische Union. Das ermöglichte den wechselseitigen Austausch von Pfarrern und gemeinsame Abendmahlsfeiern.
Daneben entwickelten sich auch evangelische Gemeinden außerhalb der landeskirchlichen Strukturen, die sogenannten evangelischen Freikirchen. Sie folgten anderen reformatorischen Konzepten. Am bekanntesten sind die Baptisten und Methodisten. Die Baptisten lehnen die Kindertaufe als unbiblisch ab, die Methodisten legen besonderen Wert auf das persönliche Glaubenszeugnis jedes Gemeindemitglieds. Viele Anhänger dieser freien evangelischen Gemeinden waren dem ursprünglich dem Druck der Landesherren ausgesetzt; viele wanderten nach Nordamerika aus und bestimmen bis heute das Bild der kirchlichen Landschaft.
In Deutschland sind die eigenständigen evangelischen Landes- und auch Freikirchen in übergreifenden Organisationen zusammengeschlossen und sie alle gehören der EKD an, der ‚Evangelischen Kirche in Deutschland‘. In der sog. ‚Leuenberger Konkordie‘ wurde 1973 auch eine theologische Basis für die Zusammengehörigkeit unterschiedlicher evangelischer Kirchen geschaffen. Die Kirchengemeinschaften sind zudem in jeweiligen Weltbünden zusammengeschlossen und die meisten auch im ökumenischen Weltrat der Kirchen mit Sitz in Genf. Die römisch-katholische Kirche kann von ihrem Selbstverständnis her nicht gleichberechtigte Kirche neben vielen anderen sein, arbeitet aber auch außerhalb einer offiziellen Mitgliedschaft in diesem Weltrat der christlichen Kirchen mit.
Religionspädagogische Impulse
- Kirchenbesuche in evangelischen und katholischen Kirchen
- Diskussionen in den Teams zum Profil einer Kita in evangelischer Trägerschaft