Das Modell der interreligiösen Gastfreundschaft
Wie passen diese Überlegungen zusammen? Gibt es vielleicht ein drittes Modell? Ja, es ist das der sog. interreligiösen Erziehung und wohl das anspruchsvollste der drei Modelle. Es gilt zu einer religiösen Standpunkthaftigkeit und Überzeugung zu erziehen, ohne aber andere Religionen und religiöse Strömungen auszublenden oder pauschal abzuwerten. Es gilt zu einem Umgang mit religiöser Pluralität zu befähigen, ohne im bloßen Nebeneinander und der Oberfläche der religiösen Verhaltensweisen zu verbleiben. Es geht damit um die schwierige Aufgabe, Beheimatung in einer eigenen religiösen Tradition und des Geltenlassen des Anderen und Fremden gleichermaßen anzustreben. Mit dem Heimischwerden im eigenen Traditionszusammenhang gilt es gleichzeitig in den verständnisvollen Umgang mit fremder Religiosität und Religion einzuüben. Religion begegnet in solcher Weise von Anfang an standortbezogen, sofern es um religiöse Heimat geht, und sie erscheint plural, sofern es gilt, Fremdes in seiner Andersartigkeit kennen und achten zu lernen. Ziel ist der tolerante Umgang mit Differenz. Das bedeutet zum einen, daß die religiöse Grundposition in der evangelischen Kindertagesstätte klar sein muß. Eine muslimische Beheimatung etwa halte ich in der Kindertagesstätte der evangelischen Kirchengemeinde nicht für sinnvoll und auch gar nicht leistbar. Es geht auch nicht an, daß wechselnde Mehrheiten die religiöse Position hin und her schieben. Die evangelische Kindertagesstätte muß in ihrer religiösen Grundorientierung als eine christliche identifizierbar sein. Und das bedeutet zum anderen, daß anderen gegenüber eine Haltung der Gastfreundschaft praktiziert und eingeübt wird, in der sie sich als anerkannt und akzeptiert fühlen können. Dabei ist dann auch von den Grenzen der Gastfreundschaft zu reden. Sie sind dann gegeben, wenn die Gäste die Bewohner aus dem Haus zu drängen versuchen, wenn sie dieses Modell der Gastfreundschaft nicht zu akzeptieren bereit sind. Was heißt dies alles nun konkret?
Es geht also darum, daß Kinder in ihrem noch unreflektierten Zusammenleben mit anderen in der religiösen Dimension das Anderssein entdecken – in einer Form, die ohne die Differenzierung zwischen gut und schlecht, richtig und falsch auskommt. Sie entdecken ansatzweise, daß Religion ein Gefüge von Überzeugungen, Wissen, Einstellungen, Verhaltensweisen ist, das mit anderen konkurriert, das man nicht nach Lust und Laune wechselt; sie lernen, daß sie Protestanten oder Katholiken, Christen oder Muslime sind, und zugleich, daß beides gut nebeneinander bestehen kann. Es ist gerade sinnvoll, nicht zur zu warten, bis diese Unterscheidung ausgebildet ist, sondern den Prozeß dazu im Sinne einer Erziehung zur Toleranz zu nutzen. Bei religiösen Strömungen freilich ist deren Profil oft kaum zu fassen. Da wird es oft nur in der Ablehnung der kirchlichen Traditionen faßbar – und damit ist es die Aufgabe, diese Ablehnung als das nicht negativ zu wertende, sondern als das auch zu Akzeptierende zugänglich zu machen: Christlich oder nichtchristlich.