5. Das Familienzentrum in der Gemeinde
Inwiefern gehört das Engagement im evangelischen Familienzentrum zu den Aufgaben einer christlichen Gemeinde? Zum Schluss nehmen wir die eingangs gestellte Frage noch einmal auf, diesmal aber mit einer veränderten Ausrichtung: Inwiefern gehört das, was im Familienzentrum geschieht, zum Gemeindeleben dazu, und wie kann das möglichst gut zum Ausdruck kommen?
Weithin wird der Beitrag der Kindertagesstätte zum Leben und zum Wachstum der Gemeinde danach beurteilt, ob und wie die Familien auch in den sonntäglichen Gottesdiensten auftauchen, auch an anderen Veranstaltungen der Gemeinde teilnehmen. So gesehen erscheint die Kindertagesstätte aber eher als „Zulieferbetrieb“ zur Gemeinde, denn als echter Bestandteil von ihr. Angemessener ist deshalb das Verständnis des Familienzentrums als Teil der Gemeinde, in dem schon das geschieht, was christlicher Gemeinde aufgetragen ist: Verkündigung des Evangeliums, Diakonie, praktizierte Gemeinschaft der Glaubenden und das Feiern des Glaubens in der Vielfalt der gottesdienstlichen Formen. Wo das geschieht, ist Gemeinde lebendig. Der Blick richtet sich damit nicht länger nur darauf, wo sich Familien außerhalb des Familienzentrums in der Gemeinde zeigen, sondern wie in der Einrichtung selbst Gemeinde gelebt wird.
Vom diakonischen Auftrag war eingangs schon die Rede. Was die Verkündigungsaufgabe betrifft, so zeichnet das Familienzentrum der enge Zusammenhang von Glauben und Leben aus. Glaube nicht als Sonderveranstaltung, sondern als ‚roter Faden’ im hier beschriebenen religionspädagogischen Konzept. Mit ihrem Familienzentrum hat die Gemeinde einen Ort, an dem dieses Zusammenspiel von Glauben und Leben in ganz besonderer Intensität gelebt und auch je neu erprobt werden kann. Ist das den in der Gemeinde sonst Mitwirkenden ausreichend bewusst? Das Familienzentrum ist auch ein Ort, an dem Gemeinschaft der Glaubenden weniger in selbstgenügsamer Einmütigkeit gelebt wird als vielmehr in der Vielfalt der Meinungen und Überzeugungen, der Überzeugten wie der Zweifelnden, der Hochverbundenen und der eher Distanzierten, der Menschen am Rande der Zugehörigkeit und auch jenseits dieser Grenze. Hier kann sich Gemeinschaft der Glaubenden in Fragen und Zweifeln bewähren, die an all den Überlegungen zu den Aufgaben religiöser Erziehung bei Eltern und Mitarbeitenden aufbrechen. Gerade das Suchen nach dem, was Kindern weiterhilft, das Wahrnehmen, wie Kinder Glauben gestalten, entzündet auch so oft die entsprechenden Fragen unter den Erwachsenen. Und schließlich ist das Familienzentrum auch auf eine besondere Art und Weise feiernde Gemeinde, von den ‚kleinen’, einfachen Ritualen etwa im Morgenkreis zu den Festen im Zentrum selbst bis hin zur Mitwirkung bei Gottesdiensten der ganzen Gemeinde. Die Kinder bringen jeweils ihr Eigenes ein, an Kreativität, Ursprünglichkeit, Lebendigkeit.
Wechselseitiges Geben und Nehmen
Ist das Vision oder Wirklichkeit? Die Antwort darauf hängt auch davon ab, inwiefern das Familienzentrum eingebunden ist in das Gemeindeleben, auch eingebunden in ein wechselseitiges Geben und Nehmen. An die Stelle von Erwartungen an die Mitarbeitenden, die eigentlich nur die ehrenamtliche Mitarbeit außerhalb des Familienzentrums im Blick haben, tritt etwas anderes: zum einen das Registrieren, was die Mitarbeitenden im Zentrum selbst für das Leben der Gemeinde leisten, Interesse für das, was hier geschieht. Und dann gilt es auch zu fragen: Welche Unterstützung brauchen die Mitarbeitenden in ihrer Arbeit? Das reicht von theologischer Beratung und Begleitung in religionspädagogischen und seelsorgerlichen Aufgaben bis hin zu ehrenamtlicher Mitarbeit bei diakonischen Aktivitäten, von der Hausaufgabenhilfe bei den älteren Kindern bis zur Mitwirkung bei Familienfreizeiten. Wenn so den Mitarbeitenden im Familienzentrum deutlich gezeigt wird, dass sie zum Kreis der Mitarbeitenden in der Gemeinde dazugehören, wird auch Interesse an und Mitverantwortung für andere Bereiche in der Gemeinde wachsen, in denen es auch um Kinder und Familien geht: etwa am runden Tisch zur Familienarbeit in der Gemeinde, an den Erfahrungen eingebracht und ausgetauscht werden, bis hin zur freiwilligen Mitarbeit im Kindergottesdienst oder beim Mitgestalten von Kinderbibeltagen. So kann gegenseitige Bereicherung geschehen, die dazu motiviert, sich auch über die vertraglich abgesteckten Aufgaben hinaus mit den eigenen Kompetenzen einzubringen - immer mit dem Recht der eigenen Entscheidung.
Evangelische Familienzentren sind Antwort auf die Wahrnehmung, dass christliche Gemeinde und Familie einander brauchen. Kirche braucht Familien, um ihren Auftrag zu erfüllen - den diakonischen und den Verkündigungsauftrag - und dabei selbst in Bewegung zu bleiben und wachsen zu können. Und Familien brauchen die Gemeinde, um möglichst gut Familie zu sein, um von Aufgaben entlastet und auch zur Annahme mancher Aufgaben motiviert und ermutigt zu werden. Familie braucht auch Gemeinde, um nicht von den Visionen einer „heilen Familie“ überfordert zu werden - samt der Gefahr daran zu scheitern, um auch mit eigenen Schwächen und Grenzen leben zu können. Und Familie braucht Kirche und Gemeinde, damit im Bewusstsein bleibt, wie sehr die religiöse Dimension zum Leben dazugehört und religiöse Erziehung den Kindern viel von dem anregen und mitgeben kann, was sie zu ihrem Aufwachsen brauchen.
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