1. Die Kindertagesstätte als Teil der Gemeinde
 

Zum Auftrag der christlichen Gemeinde gehört es, die Botschaft des christlichen Glaubens an die nächste Generation weiterzugeben. Schon kleine Kinder sollen Gelegenheit haben, mit diesem Glauben eigene Erfahrungen zu machen, sich ihn anzueignen und die christliche Gemeinde als Wurzelboden dieses Glaubens kennenzulernen. Mit dem Taufversprechen, das Eltern und Paten bei der Taufe ihrer Kinder abverlangt wird, übernimmt auch die christliche Gemeinde eine Verpflichtung: nämlich Eltern in der religiösen Erziehung ihrer Kinder kräftig zu unterstützen. Sie soll ihnen mit ihren Angeboten Anregungen dazu geben. Oft wünschen sich Eltern für ihre Kinder religiöse Erziehung, sehen sich selbst dazu aber zu wenig in der Lage. Die evangelischen Kindertagesstätte hat hier eine wichtige Aufgabe.

Das Bild eines gut in das Gemeindeleben integrierten Kindergartens hat in den zurückliegenden Jahrzehnten allerdings manche Veränderung erfahren: Nach und nach ist die Kindertagesstätte zum Teil des vom Staat organisierten gesellschaftlichen Erziehungs- und Bildungsauftrags an allen Kindern geworden. Mit hohen Finanzierungsbeiträgen der öffentlichen Hand gehen auch rechtliche Verpflichtungen einher, die sich nicht allein von den Bedürfnissen der Kirchengemeinde her bestimmen lassen. Das reicht von den Auflagen in den entsprechenden Gesetzen bis hin zu Aufnahmeregelungen in die Kindertagesstätte, von Förderrichtlinien bis zu den Formulierungen des Orientierungsplans, der Bildungsstandards für das Bildungsgeschehen in allen Kindertagesstätten definiert. Immerhin ist doch der Staat verpflichtet, jedem Kind im betreffenden Alter einen Kindergartenplatz zur Verfügung zu stellen. Muss es da noch Aufgabe der Kirchengemeinde sein, für solche Kapazitäten zu sorgen?

Gehört die Kindertagesstätte noch zu den „Kernaufgaben“ einer Gemeinde? Verursacht sie mit der Fülle des vom Träger zu bewältigenden Aufwands an Organisation und Verwaltung nicht mehr Last, als sie für die Gemeinde Gewinn bringt? Ist sie nicht eher ein Fremdkörper in der Gemeinde? In entsprechenden Diskussionen wird oft gefragt: Wo zeigt sich der Nutzen der evangelischen Kindertagesstätte für den Gemeindeaufbau? Wo tauchen die Kinder und Familien des Kindergartens in der Gemeinde und ihren Veranstaltungen auf? Wo bereichern sie sichtbar das Gemeindeleben? Wo arbeiten die Erzieherinnen ehrenamtlich in der Gemeinde mit? Das gilt besonders dort, wo der Kindergarten räumlich von Kirche und Gemeindehaus entfernt ist, wo sich das Selbstverständnis der Gemeinde in eine andere Richtung entwickelt hat als die Kindertagesstätte.

Demgegenüber gilt es einen Perspektivenwechsel anzumahnen und einzuleiten: Entgegen der Sicht der evangelischen Kindertagesstätte als eine Art Zubringer zur Gemeinde, als Zuliefereinrichtung ihren Veranstaltungen gilt es die evangelische Kindertagesstätte als Teil der Gemeinde zu sehen. Sie ist ein Ort, an dem Gemeinde lebendig sein kann und soll. Die Kindertagesstätte soll nicht nur Menschen zur Gemeinde hin bringen, sondern sie ist vielmehr selbst Gemeinde. In ihr geschieht Gemeindeleben. Das sei anhand der wesentlichen Grundaufgaben einer christlichen Gemeinde verdeutlicht:

●   Verkündigung: Das Weitersagen des Evangeliums ist der Gemeinde aufgetragen. Im
     alltäglichen Zusammenleben in der Kindertagesstätte können Kinder und auch Eltern in
     besonderer Weise erleben, wie sich christlicher Glaube im Leben auswirkt. Aktuelle reli-
     gionspädagogische Konzepte leiten dazu an, sorgfältig wahrzunehmen, wo und wie Inhalte
     des christlichen Glaubens zum Leben der Kinder, zu ihren Lebenssituationen passen. Situ-
     ationsorientiertes Erzählen biblischer Geschichten achtet darauf, dass und wie sich Kinder
     mit ihren eigenen Fragen, Bedürfnissen, Herausforderungen, Wünschen und Hoffnungen
     in den biblischen Gestalten und ihren Erfahrungen mit Gott wiederfinden können. Gebete
     haben ihren Ort im Tageslauf, geben Anlass zum Nachdenken, geben Raum, in dem Kin-
     der ihre eigene Gebetssprache finden und erproben können, sind verbunden mit wohltuen-
     den Erfahrungen der Stille. Gespräche mit Kindern über Gott (und die Welt) entzünden
     sich an Überlegungen der Kinder, an dem, was sie herausfordert und beschäftigt, an ihrer
     Auseinandersetzung mit der erfahrbaren Welt. Wo das geschieht, da ist Gemeinde leben-
     dig, da geschieht Verkündigung, da kann die Kindertagesstätte mit all ihrer Kreativität und
     Spontaneität der Kinder zu einer Brunnenstube des Glaubens werden.

 

  Diakonie: Auch die Sorge für Menschen in Notsituationen gehört zur Kernaufgabe einer
     christlichen Gemeinde. Immer noch gehören die Familien zu dem Teil der Gesellschaft,
     der mit besonderen Belastungen fertig zu werden hat. Das reicht von Kindern als „Ar-
     mutsrisiko“ bis zur Doppelrolle der Frauen in Beruf und Familie. Durch ihr Engagement
     in Kindertagesstätten gewinnt Kirche viel Ansehen. Das gilt um so mehr, wenn Angebote
     der Kindertagesstätte auf Bedürfnisse der Familien antworten, sei es in flexiblen Öff-
     nungszeiten oder in der Veränderung der Kindertagesstätte zum Familienzentrum, in dem
     Eltern auch viel für sich selbst mitnehmen können.

   Gemeinschaft: Für viele Kinder bringt das Zusammenleben in der Kindertagesstätte ganz
     neue Erfahrungen. Regeln werden gemeinsam vereinbart und müssen sich in Konfliktsitua-
     tionen bewähren. Kinder lernen die Bedürfnisse anderer in ihre Wünsche und Pläne mit
     einzubeziehen. Im evangelischen Kindergarten haben sie dabei auch die Chance, den be-
     sonderen Beitrag des Glaubens zur Gestaltung des Miteinanders und zu dessen Gelingen
     zu erleben. Da geht es eben nicht um diktierte Ge- und Verbote, in denen Erwachsene etwa
     ihren Willen als Gottes Willen ausgeben. Kinder können und sollen vielmehr erleben, wie
     Beziehung zu Gott dem Miteinander neue Impulse zu geben vermag. Am Beispiel des Za-
     chäus zum Beispiel wird deutlich, was Ausgrenzung bewirkt und wie sie überwunden wer-
     den kann; die Gebote können zeigen, wie der in ihnen intendierte Schutz des Lebens zu
     konkretem Nachdenken darüber auffordert, wer und was alles solchen Schutz braucht und
     wie er in konkret verpflichtenden Regeln Gestalt gewinnen kann. Gemeinschaft des Glau-
     bens heißt hier auch, dass und wie das Miteinander als ein Gottesgeschenk erfahren wer-
     den kann, als etwas Wertvolles, aus dem sich der Sinn für verbindliche Werte zu entwi-
     ckeln vermag.

  Feiern: Gottesdienste sollen Feste des Glaubens sein. Sie sind nicht auf die sonntäglichen
     Gottesdienste beschränkt, sondern geschehen z.B. auch da, wo im Kindergarten die Feste
     des Kirchenjahrs gefeiert werden, wo erzählt, gesungen und gebetet wird, wo Kinder die
     Geschichten der Bibel weiterspielen, ihre Bilder dazu malen. Viele Gottesdienste haben
     durch die Beiträge der Kinder an Lebendigkeit gewonnen, Erntedankfestgottesdienste sind
     so vielfach zu einem Höhepunkt im Kirchenjahr geworden. Wo Kinder auf vielfältige und
     kreative Weise ihren Glauben feiern, da geschieht Gemeinde in ihrem ureigenstem Sinn.

 

Solcher Perspektivenwechsel hat Konsequenzen für die Stellung der Kindertagesstätte in der Gemeinde:

l  Mitarbeitende in der Kindertagesstätte gehören zur Mitarbeiterschaft der Gemeinde samt
    deren entsprechender Einbindung in die Kommunikation mit der Gemeindeleitung und den
    Verantwortlichen für die verschiedenen Gruppen oder Projekte in der Gemeinde. Dazu ge-
    hören auch würdige Einführungen und Verabschiedungen, die Einbindung in Entschei-
    dungsprozesse, die die ganze Gemeinde betreffen.

l  Die Kindertagesstätte als lebendiger Ort der Gemeinde verdient entsprechende Wertschät-
    zung. Es geht eben nicht darum, Mitarbeitende danach zu fragen, was sie über ihre Arbeit
    in der Kindertagesstätte hinaus in der Gemeinde tun, sondern Anteil zu nehmen an dem,
    was in der Kindertageseinrichtung selbst geschieht. Wie kann die Aufmerksamkeit für die-
    sen Ort der Gemeinde gestärkt werden? Wo braucht die Kindertagesstätte Unterstützung in
    ihren Aufgaben, von der Arbeit mit Hortkindern bis zur Beteiligung an Familienwochenen-
    den, von der Begleitung von Erziehern und Erzieherinnen in religionspädagogischen Frau-
    gen, etwa zum Umgang mit Tod und Sterben, bis zum Umgang mit Familien aus anderen
    Religionen. Wer kann für solche Unterstützung gewonnen werden? Wie können die Ver-
    antwortlichen in der Gemeindeleitung zeigen, wie wichtig die Kindertagesstätte für das
    Selbstverständnis der Gemeinde ist? Wo sind sie in der Kindertagesstätte präsent? Wie
    nehmen sie am Geschehen in der Kindertagesstätte Anteil? Wie erfahren das neben den
    Mitarbeitenden auch die Eltern der Kindergartenkinder?

l  Welchen Ort kann die Kindertagesstätte in einer kinderfreundlichen Gemeinde, in der Ar-
    beit mit jungen Familien haben? Wie können Erfahrungen der Erzieherinnen mit den ganz
    Kleinen auch die Arbeit mit ihnen in Kindergottesdienst, Krabbelgottesdiensten u.a. berei-
    chern? Wie kann z.B. die Kinderkrippe mit Eltern-Kind-Gruppen zusammenarbeiten? Wie
    kann sich solche Zusammenarbeit als ein wechselseitiges Geben und Nehmen gestalten, das
    nicht einzelne überfordert, sondern für alle Beteiligten bereichernd ist? Wo Kindertages-
    stätten als Ort der Gemeinde akzeptiert sind, sich die Beteiligten als Teil der Gemeinde
    verstehen können, da werden dann auch andere Aktivitäten von dem Miteinander profitie-
    ren. Eltern öffnet sich oft über die Kindertagesstätte die Türe zu interessanten weiteren An-
    geboten der Gemeinde. Über die Mitwirkung bei Kindergarten-Gottesdiensten u.a. hinaus
    bleiben manche auch nach der Kindergartenzeit ihrer Kinder gerne dabei.

weiter: Die Kindertageseinrichtung als Stätte religiöser Bildung

zurück