Reformation in Konstanz
‚Fünf Freunde‘ leiten die Reformation in Konstanz
Vorüberlegungen
Während in den deutschen Fürstentümern wie Kursachsen, Hessen, Brandenburg, Württemberg und anderen die Herrschenden ihre schützende Hand über das Reformationsgeschehen hielten, waren es in den freien Reichsstädten die Räte der Stadt, die in enger Verbindung mit der Bürgerschaft die Reformation zu ihrer Sache machten und mit den Predigern der neuen Lehre zusammenarbeiteten.
In der freien Reichsstadt Konstanz am Bodensee bildete sich aus zwei verwandten Familien das Führungsteam der Reformation: die Blarers und die Zwicks waren alteingesessene, wohlhabende und gebildete Stadtbürger, also Patrizier, aus deren Kreis schon seit eh und je Personen in den Rat der Stadt gewählt wurden, die zeitweise auch das Amt des Bürgermeisters ausübten.
Die Geschichte erzählt von den Ereignissen zwischen 1525 und 1528. Die ersten, zum Teil auch stürmischen Jahre der Reformation sind vorüber. Jetzt gilt es das Reformationsgeschehen in die geordneten Bahnen eines geregelten Miteinanders von Kirchengemeinde und Stadtgesellschaft zu lenken. Aufgaben der Pfarrer und des Rats sind dabei eng miteinander verzahnt.
Letzte Bastion des altkirchlichen Widerstands ist der Bischof mit seinem Domkapitel, der aber bald die Stadt verlässt und sich nach Meersburg zurückzieht.
Im ersten Erzählteil mit dem erdachten Rahmen eines Familientreffens stellen sich die beiden geistlichen Leiter der Reformation – Johannes Zwick und Ambrosius Blarer - mit ihrem eigenen Weg zum neuen Glauben vor. Sie berichten von den Hindernissen, die ihnen dabei in den Weg gestellt wurden. Wir lernen den Mut kennen, den sie bewiesen haben. Von Margaretha Blarer, der Schwester des Ambrosius, wissen wir wenig. Sie hat sich in ihrer Jugendzeit gegen einen Eintritt ins Kloster gewehrt und auch auf eine Heirat verzichtet. Sie tat dies zugunsten ihres Engagements für den Familienbetrieb im Handel mit Leinen, aus dessen Erträgen sie dann auch den Lebensunterhalt ihres Bruders Ambrosius bestritt. Sie war sehr gebildet, korrespondierte mit reformatorischen Bundesgenossen. Zu Ambrosius und Johannes treten noch Thomas Blarer, der bald zum Bürgermeister gewählt wurde, und Konrad Zwick, der die Reichsstadt Konstanz unter anderem auf Reichstagen repräsentierte.
Kinder und Erwachsene erfahren so, wie damals reformatorische Gedanken über Flugschriften bekannt wurden und die Menschen begeisterten. Sie erleben den Mut der Engagierten mit und wie in Konstanz die verwandtschaftlich eng verbundene Fünfergruppe ihre Aufgabe erkannte.
Der zweite Erzählteil mit dem Rahmen eines erdachten Stadtspaziergangs macht mit der Vorgeschichte der Reformation in der Stadt bekannt. Dazu gehören auch deren schwierige politische Situation mit den Spannungen zwischen Bischof und Stadtgemeinde, andeutungsweise auch mit denen zwischen der lutherischen und der zwinglischen Reformation. Es geht um hohe Ziele, die sich die Reformatoren steckten. Dabei klingt immer wieder das sie bestimmende Leitthema an: Rechter Glaube muss in praktizierter Nächstenliebe, im gelebten Frieden, in Gerechtigkeit, im Zusammenhalt der Stadtgesellschaft sichtbar werden.
Die dritte Erzählszene ist eine erdachte Gesprächssituation in Margarethas Kontor. Jetzt stehen konkrete Entscheidungen auf dem Weg zu einer für alle verbindlichen Kirchen- und Stadtordnung an. Sie zeigen, wie städtische und kirchliche Aufgaben und Verantwortlichkeiten eng ineinandergreifen. Der persönlichen Gewissensfreiheit jedes Einzelnen aus dem Glauben stehen einschränkende Verpflichtungen zum Wohl des Zusammenlebens aller gegenüber. Beides gilt es sorgsam auszutarieren. Gerade darin zeigt sich das Eigenständige der Konstanzer Reformation. Das Verbot von Heiligenbildern und Bildern in Kirchen überhaupt wird da genauso ein kniffliges Problem wie der Umgang mit sich absondernden religiösen Gruppen oder die Übernahme der sozialen Fürsorge in die städtische Verantwortung.
Das kann Leser und Hörer der Geschichte zum eigenen Nachdenken anregen, auch zum Vergleich mit den heutigen Verhältnissen, kirchlichen und staatlichen Aufgaben, Rechten und Freiräumen. Im Blick auf die Kinder gilt das wohl erst für das fortgeschrittene Grundschulalter, wegen des nötigen Verständnisses für die historischen Details.
Ein kurzer Ausblick schaut viele Jahre später zurück auf die weitere Geschichte der Stadt und rückt noch einmal Ambrosius Blarer und Johannes Zwick als Liederdichter in den Blick, ganz besonders das im Pestjahr 1541, dem vorletzten Lebensjahr des Johannes Zwick von ihm geschaffene Lied, das auch heute noch gerne und oft gesungen wird: „All Morgen ist ganz frisch und neu des Herren Gnad und große Treu“ (Evang. Gesangbuch Nr. 440+441)
Erzählung – Teil 1: Nach eigenen Wegen wieder beisammen
In der Adventszeit des Jahres 1525 kommen im großen stattlichen Haus der Familie Blarer die Verwandten der Familien Blarer und Zwick zu einem Familientreffen zusammen. Margaretha, die Schwester von Ambrosius und Thomas Blarer hat das große Empfangszimmer adventlich geschmückt und das Personal zur Vorbereitung des adventlichen Nachmittags angeleitet. Es gibt auch einen besonderen Grund für dieses Treffen: Johannes Zwick, der Bruder von Konrad ist seit etlichen Jahren wieder zurück in seine Heimatstadt Konstanz am Bodensee gekommen.
Die Gäste sind eingetroffen und Ambrosius begrüßt sie mit einem selbst verfassten Gedicht. Einer der Gäste murmelt seinem Nachbarn zu: „Dichten, das kann er gut, unser Pfarrer Ambrosius“. Sein Nachbar antwortet leise: „Ob Johannes, den wir heute seit langem wieder sehen, auch mit einem Gedicht antwortet?“ Da steht Johannes schon auf und singt mit einer einfachen Melodie sein Begrüßungslied. Immer wieder stimmen alle in die Kehrverszeile ein“.
„Endlich seid ihr beiden Vettern wieder beieinander“, sagt Margaretha, „es hat auch lange genug gedauert, bis ihr zwei Pfarrer euch wieder zusammengefunden habt. Wir freuen uns sehr, dass ihr beide da seid, denn wir brauchen jeden von euch für die Verbreitung der neuen Lehre des Evangeliums in unserer Heimatstadt“.
Johannes Zwick wendet sich den Gästen zu und antwortet: „Die Predigt des Evangeliums, so wie es uns Martin Luther neu gezeigt hat, war ja auch bisher die Aufgabe, die ich mir in meiner Gemeinde in Riedlingen gestellt habe. Ich hatte dort so viele Menschen um mich, die immer mehr davon wissen wollten, was Jesus über den freundlichen Gott gesagt hat. Er jagt den Menschen nicht Angst vor Strafen ein, wie es die Priester bisher getan haben. Sondern er macht Mut zu einem freien gemeinsamen Leben, in dem die Liebe regiert. Aber viele meiner Amtsbrüder haben mir das übel genommen und mir das Leben in Riedlingen schwer gemacht. Das ging solange, bis ich es nicht mehr ausgehalten habe und zurück gekommen bin in die Heimat“. Er macht eine Pause, lacht kurz in sich hinein und meint dann: „Aber leicht habe ich es ihnen auch nicht gemacht. Sie haben den Bischof dazu gebracht, mir meinen Verdient zu sperren und mir nur noch das Predigen zu erlauben, weil ich daran nichts verdienen konnte. Aber da habe ich nur noch lachen können, denn jetzt habe ich viel mehr Zeit gehabt, in der Bibel zu studieren und sorgfältig meine Predigten vorzubereiten und auch in der Umgebung zu predigen. Ich bin meinen Vorfahren dankbar dafür, dass sie uns so viel Geld hinterlassen haben, mit dem ich auch ohne Bezahlung durch den Bischof gut leben kann“.
„Wie bist du eigentlich zu der neuen Lehre gekommen?“ fragt einer der Verwandten. Johannes antwortet: „Unser Vater, der ja angesehener Ratsherr in Konstanz war und im Dienst des Bischofs stand, hat Konrad und mich zum Rechtsstudium bestimmt. In Basel haben wir zuerst studiert, auch Vetter Thomas kam dazu, es war eine schöne Zeit für uns drei. Wir haben da schon viel gespürt von den neuen Ideen, von denen man auch in Basel viel geredet hat. Auch Schriften von Luther konnte man lesen. Als Konrad und ich dann in Bologna weiterstudiert haben, da waren Luthers Schriften dort allerdings streng verboten. Das hat uns aber umso mehr gereizt, sie zu lesen. Heimlich haben wir sie uns beschafft und zwischen unseren Lehrbüchern versteckt.
Wieder zurück in Basel war es dann sehr leicht, Schriften von Luther und auch den anderen Reformatoren zu bekommen. Es gibt in dieser Stadt viele Buchdrucker und Leute, die gerne lesen. An allen Ecken wurden die Schriften angeboten. Ich habe dort viel Zeit gehabt, mich weiter in diese Schriften und auch in die Bibel zu vertiefen und zu lernen, wie beides zusammengehört. Mir wurde immer deutlicher, wie sehr uns diese neuen Gedanken über Gott und den Glauben weiterbringen können. Ich war begeistert davon.
Schon ein paar Jahre vorher war ich zum Priester geweiht worden. Als ich dann nach Riedlingen zu meiner Gemeinde kam, hatte ich nur eins im Sinn: Genau in der Weise der Reformation den neuen Glauben an die Menschen weiterzugeben, ihnen immer wieder die frohe Botschaft des Evangeliums zuzurufen. Und das möchte ich auch gerne hier in Konstanz tun. Ich bin sehr froh, dass ich das gemeinsam mit meinem Vetter Ambrosius anpacken kann. Denn der kennt sich in theologischen Fragen noch viel besser aus als ich. Lieber Ambrosius, ich überlasse dir gerne die Führung und helfe mit, so gut ich kann“.
„Nur nicht so bescheiden“, ruft Vetter Ambrosius dazwischen. „Während du dich mit deinen Priesterkollegen in Riedlingen herumstreiten musstest, war ich hier in Konstanz noch zum Stillschweigen verurteilt“. „Ihr beide übertrumpft euch ja gerade gegenseitig an Bescheidenheit“, meint lachend Ambrosius‘ Bruder Thomas. „Erzähl uns doch bitte noch einmal, wie du aus dem Kloster geflohen bist!“
„Zuerst muss ich damit anfangen, wie ich hineingekommen bin“, fängt Ambrosius an. „Als ich vor zwanzig Jahren, also als ich 13 Jahre alt war, zum Studium nach Tübingen kam, reifte in mir so nach und nach der Entschluss, Mönch zu werden. Ich trat ins Kloster Alpirsbach im Schwarzwald ein, wurde auch Prior, also Stellvertreter des Abts. Als dann Thomas zum Studium nach Wittenberg ging, um dort Rechtswissenschaft zu studieren, wohnte er im Haus des berühmten Philipp Melanchthon. Er begeisterte sich für die neuen Gedanken Martin Luthers und seiner Mitarbeiter und ließ mit immer wieder druckfrische Schriften von ihnen zukommen.
Anfangs kam mir das alles sehr fremd vor, aber dann hat es mich gepackt. Ich konnte nicht genug davon bekommen und musste in meinen Predigten im Kloster davon erzählen. Aber dort stieß ich auf harte Ablehnung. Ich wollte so gerne auch nach Wittenberg kommen, um selbst möglichst viel bei den Neuen zu hören und gemeinsam mit anderen zu studieren. Schwester Margaretha wäre sogar bereit gewesen, mir das nötige Geld zukommen zu lassen. Aber der Abt lehnte ab. Er zwang mich dazu, im Kloster zu bleiben, weil ich in meinem Klostergelübde ja Gehorsam geschworen hatte. Aber als ich von Luther las, dass die Klostergelübde unbiblisch sind und damit keine Gültigkeit haben, da habe ich es im Kloster nicht mehr ausgehalten.
Im Sommer vor drei Jahren stieg ich in der Nacht heimlich aus einem Fenster, wechselte die Kleider, dass ich nicht mehr als Mönch zu erkennen war und floh hierher in unser Elternhaus. Der Abt ließ dann nach mit fahnden, um mich wieder ins Kloster zurückbringen zu lassen. Unsere Mutter war entsetzt, als ich wie ein Verbrecher zuhause Unterschlupf suchte. Sie versteckte mich im Haus und ließ auch nicht zu, dass ich mich auf den Weg nach Wittenberg zu Bruder Thomas machte. Als der Abt herausbekommen hatte, wo ich war, verlangte er vom Rat der Stadt, mich zu verhaften und nach Alpirsbach auszuliefern.
Zum Glück wollte der Rat selbst prüfen, ob eine Auslieferung rechtmäßig sei. Ich wurde vorgeladen, um meine Flucht zu begründen. Ihr könnt euch vorstellen, wie erleichtert ich war, als der Rat meine Rechtfertigung anerkannte und die Auslieferung verweigerte. Ich spürte so viel Zustimmung zu der neuen Lehre und mir wurde klar: Es ist jetzt mein Auftrag, daran mitzuwirken, dass die Reformation in unserer Stadt weiter gedeihen kann. Deshalb habe ich auch schon wieder angefangen zu predigen.“
Einer der Verwandten meinte dazu: „Als Fünfergruppe der Reformation seid ihr wirklich ein Segen für unsere Stadt. So etwas ist ganz einmalig in unserem ganzen deutschen Reich. Konstanz ist eure Heimatstadt, ihr kennt so viele Leute und kommt mit allen gut aus. Margaretha, du führst ein offenes Haus und hast ein offenes Herz für Menschen in Not, die Hilfe brauchen. Du kannst gut Briefe schreiben und Kontakte knüpfen zu anderen Reformatoren im ganzen Land. Ambrosius und Johannes, ihr seid wie ein neuer evangelischer Bischof in der Stadt. Thomas, du bist vor Kurzem in unsere Stadtregierung gewählt worden. Du kannst dafür sorgen, dass die beiden mit den Ratsherren gut zusammenarbeiten. Und du Konrad, dich kann ich mir gut als ‚Außenminister‘ des Rats vorstellen. Du kannst am besten von allen aufmerksam verfolgen, was im Reich vor sich geht. Du kannst unser Vertreter bei den Reichstagen sein und auch nach Verbündeten Ausschau halten. Und was das Beste ist: Ihr kommt so gut miteinander aus. Ihr seid geradezu ein Vorbild für das friedliche Zusammenleben in unserer Stadt“.
Als Antwort darauf haben Ambrosius und Johannes wieder einige ihrer Gedichte parat, mit denen nach geselligem Plaudern, Essen und Trinken dieser Familientag ausklingt.
Gesprächsanregungen
- Die Reformation begann am 31. Oktober 1517 in Wittenberg. Wie kam sie ins ganze Land und bis nach Konstanz? Die Geschichten von Johannes und Ambrosius geben Antworten darauf. Welche hast du entdeckt? Wie würdest du mit deinen eigenen Worten die Frage beantworten?
- Von der Botschaft der Reformation überzeugt zu sein und sie weiterzusagen, das verlangte oft viel Mut. Wo hast du das in den Erzählungen der beiden gespürt?
- Fünf Freunde‘ haben beschlossen, gemeinsam die Reformation in Konstanz auf einen guten Weg zu bringen. Wo siehst du die Chancen in ihrer Zusammenarbeit? Was bringen die Personen für ihre Zusammenarbeit mit? Worauf sollten sie achten?
- Reformationsgeschichten erzählen, wie sich Menschen in ihrer Heimat für die Reformation eingesetzt haben. Gibt es in deiner Heimat auch solche Personen? Was kannst du über sie erfahren?
Erzählung – Teil 2: Konstanz auf dem Weg zu einer Stadt der Reformation
An einem Frühlingsmorgen des folgenden Jahres 1526 sind die beiden Brüder Ambrosius und Thomas Blarer auf einem Spaziergang durch ihre Stadt. Sie kommen hinunter zum Hafen und stehen vor dem wie eine große Halle gebauten Haus mit seinem hohen Dach, zu dem eifrig Waren aus den angekommenen Schiffen gebracht werden. „Vor gut hundert Jahren fand hier das große Konzil der Christenheit statt“, sagt Thomas. „Damals war das hier der Mittelpunkt der abendländischen Welt, aber jetzt ist unsere Stadt nur noch am äußersten Ende des großen Reichs“. Ambrosius ergänzt: „Und damals wurde der Reformator Jan Hus trotz des Versprechens auf freies Geleit verbrannt“. Thomas nickt nachdenklich und erzählt: „Als Martin Luther zum Reichstag nach Worms vorgeladen wurde, durfte ich ja auch mitfahren. Wir hatten damals große Sorgen, ob er lebendig wieder aus der Stadt herauskommt“. Ambrosius meint: „Zum Glück wurde die für ihn lebensgefährliche Reichsacht erst wirksam, als er wieder unter dem Schutz des Kurfürsten von Sachsen stand“.
„Ja, genau“, antwortet Thomas, aber wir haben hier keinen solchen Fürsten. Wir sind mit unserer Reformation ganz allein auf uns gestellt. Unser Schutzherr ist der Kaiser – und von dem wissen wir ja, dass er die Reformation verhindern will. Um uns herum sind lauter Gebiete, in denen altgläubige Herren regieren. Wir brauchen Bündnisparter, Ambrosius, das ist für unsere Sicherheit wichtig! Unser Nachbarland im Süden ist die Schweiz, die Eidgenossenschaft freier Städte und Landgebiete. In Zürich wirkt der Reformator Zwingli, und Zürich wird seit Jahren zu einer evangelischen Stadt. Das muss ein wichtiger Bündnispartner für uns werden!“
Ambrosius nickt und ergänzt: „Auch in einigen schwäbischen Reichsstädten wächst der neue Geist des Evangeliums heran. In Straßburg drüben über dem Rhein, bei uns in Lindau, Ulm, Memmingen. Wir brauchen auch mit ihnen einen guten Zusammenhalt in dem neuen Glauben. Margaretha ist ja schon eifrig dabei, Kontakte zu knüpfen mit Briefen und Einladungen in unser Haus, das sie für alle Besucher gastlich macht. Vetter Konrad nutzt die Reichstage und die mit ihnen verbundenen vielen Begegnungen, um dort Menschen kennenzulernen, mit denen wir uns gut verständigen können“.
Thomas gibt zu bedenken: „Aber du weißt auch, dass Zwinglis Reformation in vielem anders ist als die von Martin Luther und seiner Freunde in Wittenberg“. Ambrosius antwortet: „Zwingli ist Reformator einer Stadt, da sieht manches anders aus als in den großen Fürstentümern wie Sachsen. Das hast du ja selbst in Wittenberg erlebt. Wir brauchen eine Reformation, die genau zu uns passt, zu unserer freien Reichsstadt Konstanz. Wir brauchen in unserer Stadt, in der wir alle so nah beieinander wohnen, den Zusammenhalt aller. Nur so können wir gemeinsam im Sinne der neuen Lehre das Evangelium mit unserem Glauben auch wirklich leben. Johannes und ich sind uns da sehr einig. Wir haben schon viel darüber gesprochen“.
Inzwischen sind die beiden schon wieder ein Stück in Richtung Dom gegangen, da treffen sie Jörg Vögeli, den Stadtschreiber. Er hat dafür zu sorgen, dass alles in der Stadt gut von statten geht. „Ich freue mich, euch hier zu treffen“, sagt er zu den beiden. „Ich hätte mit euch Blarers und Zwicks noch einiges zu bedenken, wie es mit der Reformation in unserer Stadt weitergehen kann. Wir sind ja auf einem guten Weg. Als vor ein paar Jahren die ersten Prediger der Reformation in unsere Stadt kamen und es die Flugschriften von Luther und anderen Reformatoren zu lesen gab, auch die Streitschriften der Gegner und das Hin und Her zwischen ihnen, da war so viel Begeisterung für die neuen Gedanken zu spüren. Die meisten Ratsmitglieder waren gleich dabei und unterstützten die Prediger, wo immer sie konnten. Weil bei uns so viele Männer und Frauen lesen und schreiben können, vertieften sie sich selbst in die Schriften und sprachen überall in der Stadt darüber - auf dem Markt, in den Weinstuben, bei den Plaudereien vor ihren Häusern. Auch die Mönche in den Klöstern ließen sich von diesem Aufbruch anstecken. Mit Hilfe des Rats waren bald alle Predigerstellen mit Verkündigern der neuen Botschaft besetzt. Nur noch der Bischof wehrt sich gegen das Neue und mit ihm seine Domherren“.
Schon stehen sie vor dem Bischofspalast neben dem Dom. Thomas sagt zu den anderen leise: „Ich habe gehört, dass der Bischof noch in diesem Jahr die Stadt verlassen und in Meersburg ein anderes Haus beziehen wird“. „Er hat uns genug Prügel in den Weg geworfen“, zischt Vögeli, „vor einem Jahr hat er dann doch noch den beliebten Domprediger Wanner vergrault und ihn durch den widerspenstigen Mönch Pirata ersetzt. Was er jetzt wirklich will, wissen wir nicht, nur das, dass er prinzipiell gegen alles ist, was mit der neuen Lehre zu tun hat. Zum Glück sind seine Tage hier in Konstanz gezählt“. Thomas meint noch: „Die Jahre der ersten Begeisterung für das Neue sind jetzt allerdings vorbei. Jetzt gilt es die Zukunft unserer evangelisch gewordenen Stadt in geordnete Bahnen zu lenken. Da gibt es noch eine Menge zu tun“. Vögeli fügt an: „Und da seid ihr Blarers und Zwicks genau die Richtigen, im Rat der Stadt und als Pfarrer in den Kirchen. Die letzten Jahre waren die Zeit des Pflügens und Säens des Neuen, jetzt geht es um ein ruhiges Wachsen“.
Da kommt gerade Johannes Zwick um die Ecke, sieht die drei stehen und begrüßt sie herzlich. Er hat die letzten Sätze gehört und sagt mit Blick auf Ambrosius: „Auch uns geht es um ein friedliches Gedeihen dieser Stadt im neuen Geist. Sie soll wie ein Paradiesgarten der Reformation werden“. Ambrosius ergänzt: Es geht eben nicht nur um eine neue Lehre, sondern vielmehr darum, wie sie sich im Miteinander der Menschen auswirkt. Wenn Besucher und Gäste in unsere Stadt kommen, sollen sie eine Nächstenliebe erleben können, die nicht aus Gewissensdruck und Zwang zu guten Taten heraus entsteht, nicht aus Angst vor Gott, sondern aus einer inneren Freiheit. Genau um die geht es uns“.
Gerade sind die vier vor dem halb verlassenen Dominikanerkloster angekommen. Thomas sagt: „Die meisten Mönche haben sich der neuen Lehre angeschlossen und das Kloster verlassen. Die übrig gebliebenen erhalten jetzt von der Stadt das Geld, das sie zum Leben brauchen. Auch da wollen wir so gut wie möglich Zwang vermeiden“. Johannes meint noch: „Das Neue soll in den Herzen wachsen, nicht nur im Kopf. Deshalb brauchen wir gute Schulen mit guten Lehrern für die Jungen und Mädchen. Wir brauchen einen Unterricht, in dem viel gesungen wird, denn Singen macht die Herzen leicht und erfrischt den Geist“: Thomas lacht und meint noch: „Und diese Aufgabe ist ganz bestimmt bei euch beiden Dichtern in den besten Händen“.
Gesprächsanregungen
- Bei ihrem Stadtspaziergang wurde den Freunden deutlich, dass sie mit der Reformation nicht von vorne beginnen mussten, sondern dass schon viel Wichtiges geschehen ist. Erinnerst du dich? Was von den bisherigen Ereignissen erscheint dir dabei für die weitere Arbeit der Freunde besonders wichtig?
- Der Stadtschreiber Vögeli hat gesagt: „Jetzt ist gepflügt und gesät“. Was hat er wohl mit dem Pflügen und Säen gemeint?
- Jetzt soll es weitergehen mit ruhigem Wachsen. Das braucht Schutz und Pflege. Wo hast du in der Geschichte etwas von der notwendigen Pflege gespürt? Welche genauen Vorstellungen von diesem Schutz sind deutlich geworden? Für wen von den ‚fünf Freunden‘ könnte was eine wichtige Aufgabe sein?
- Was von diesen Aufgaben spricht dich besonders an? Was weniger?
- Johannes hat als Ziel die Stadt als einen Paradiesgarten der Reformation vor Augen. Was hat er damit wohl gemeint? Gefällt dir dieses Bild? Inwiefern passt es zu dem, was die Freunde auf ihrem Spaziergang besprochen haben?
- Könnte man das Ziel, dass der neue Glaube in gelebter Nächstenliebe sichtbar werden soll, auch mit anderen Bildern zum Ausdruck bringen? Welche fallen dir ein?
Erzählung – Teil 3: Das Wachsen im Geist der Reformation braucht gute Ordnungen und Regeln
Zwei Jahre später, es ist das Jahr 1528, treffen sich die Freunde in Margarethas großem Büro, von dem aus sie ihr Handelsunternehmen leitet. Auf dem Tisch liegen Blätter mit Abrechnungen, in denen es um den An- und Verkauf von Leinenballen geht. Margaretha kauft den Leinewebern in der Stadt ihre Waren ab, sichert ihnen so ein sicheres Einkommen und verkauft sie weiter an Händler in den anderen Städten am Bodensee und auch am Rhein. An einer Wand stapeln sich Stoffballen, die sie auf ihre fehlerfreie Herstellung prüft. Konrad Zwick ist wieder einmal unterwegs zu Besuchen bei den evangelischen Partnerstädten zur Vorbereitung des nächsten Reichstags. An ihm will der Kaiser mit den Fürsten und Abgesandten der freien Reichsstädte das weitere Vorgehen in der Religionsfrage beschließen. Die anderen drei erleben gerade noch mit, wie Margaretha den Armenpfleger der Stadt verabschiedet, der sich noch einmal für ihre fürsorgliche Unterstützung der bedürftigen Familien in der Stadt bedankt. Dann wendet sie sich ihren Brüdern Ambrosius und Thomas und dem Vetter Johannes zu und sagt: „Auch in unserer reichen Stadt Konstanz gibt es viele arme Familien – Handwerker, die ihre Waren so billig verkaufen müssen und vom Erlös ihre Familien kaum ernähren können; Familien, in denen der Vater gestorben ist; Leute die krank geworden sind und nicht mehr arbeiten können. Sie wendet sich Thomas zu: „Thomas, du bist jetzt Bürgermeister und du hast auch für diese Mitglieder unserer Stadt zu sorgen“.
Johannes wendet ein: „Margaretha, du tust so viel für die Bedürftigen in der Stadt. Du bist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass Glaube nur etwas taugt, wenn er sich mit der Liebe verbindet. Wir brauchen mehr solche Menschen wie dich als Wahrzeichen unserer evangelischen Stadt. Wir müssen noch mehr als bisher die Gewissen schärfen, damit aus der Freiheit des Glaubens auch die tätige Liebe wird“. „Gut gesagt, Johannes“, wendet Margaretha ein, aber es gilt dieser Freiheit für jeden auch Zügel anzulegen. Die Ichsucht der Wohlhabenden darf nicht so groß werden, dass darüber die Sorge für die anderen aus dem Blick gerät“. Ambrosius meint: „Früher waren diese Zügel die Angst der Menschen vor Gottes Strafen, in der sie den Klöstern für deren Heilsversprechen viel Geld gespendet haben. Die sind darüber selbst reich geworden, haben aber auch viel an Notleidende weitergegeben“. Thomas meint: „Die Klöster haben wir aufgelöst, weil uns Luther und Zwingli davon überzeugt haben, dass sie der Freiheit des Glaubens widersprechen. Wir arbeiten im Rat an einem Gesetzbuch für unsere Stadt. In dem ist dann genau geregelt, wie aus Steuereinnahmen und den Vermögen der Klöster eine Stiftungskasse eingerichtet wird, aus der nötiges Geld bereit steht, das dann gerecht unter den Bedürftigen verteilt werden kann“.
Johannes wendet ein: „Wird damit die christliche Nächstenliebe nicht zu sehr dem Rat und den von ihm Berufenen überlassen? Wenn wir im Gottesdienst die Aufgaben der Nächstenliebe predigen und dann gesammelt wird, erleben die Menschen doch viel deutlicher, wie Glauben und Taten der Liebe zusammengehören“. Ambrosius meint: „In einer sinnvollen Ordnung für unsere Stadt muss beides gut zusammenpassen. In den Predigten das Wecken der Nächstenliebe aus dem freien Glauben heraus und die Sorge der Stadtregierung dafür, dass Gerechtigkeit in der Stadt herrscht. In unserer christlichen Stadt muss beides ganz eng zusammengehören“.
„Wenn wir schon bei den Regelungen sind“, meint Ambrosius weiter, „müssen wir auch klären, wie wir mit den Heiligenbildern in unseren Kirchen umgehen. Zu der frohen Botschaft der Bibel passen sie gewiss nicht dazu. Deshalb hat Reformator Zwingli alle Bilder aus den Kirchen verbannt, der Rat der Stadt hat das bekräftigt und so dieses Vorgehen zu einer Entscheidung der ganzen Bürgerschaft gemacht. Er hat zugleich dafür gesorgt, dass das Verschwinden der Bilder geordnet vor sich geht. Wollen wir uns in Konstanz dem anschließen?“
Thomas meint: „Also, ob in der Kirche Bilder sind oder nicht, das ist doch wohl nicht Sache des Rats“. Aber Johannes gibt zu bedenken: „Heiligenverehrung und die Bilder passen nicht mehr in eine evangelische gewordene Stadt. Und es hat auch keinen Sinn, wenn in der einen Kirche die Bilder drin bleiben und in der anderen nicht. Einheit des Glaubens zeigt sich auch in den Kirchenräumen. Unsere Aufgabe ist es, den Leuten freundlich zur Seite zu stehen, wenn es gilt, sich von den alten religiösen Gewohnheiten zu trennen. Ihnen dabei zu helfen, ist Sache der Pfarrer. Wenn der Rat mit seiner Autorität als Sprecher der Bürgerschaft dahinter steht, kann das Ausräumen der Bilder und Gegenstände zur Verehrung der Heiligen ohne Störungen und ohne gewaltsames Kaputtschlagen geschehen. Vielleicht springt dabei ja auch noch einiges für die Armenkasse heraus, wenn wir Brauchbares verkaufen“.
„Es ist wie mit den Ordnungen für den Ablauf der Gottesdienste“, meint Thomas. „Da der Rat mit klarer Mehrheit beschlossen hat, dass die freie Reichsstadt Konstanz dem neuen Glauben folgt, muss das auch für alle Gottesdienste gelten. Sie sollen jetzt keine Messfeiern mit der Anrufung der Heiligen sein. Aber dafür zu sorgen, dass in den Gottesdiensten gute Predigten zu hören und schöne Lieder zu singen sind, das ist eure Sache, lieber Ambrosius und lieber Johannes“.
Der seufzt: „Puh, es ist gar nicht so einfach, eine gute und gerechte Ordnung für unser evangelisches Konstanz zu schaffen. Da muss man ja so viel bedenken und ganz gut überlegen, was die Sache des Rates als Hüter der Ordnung in der Stadt ist und was die Aufgaben der Pfarrer und anderen Mitarbeiter in den Kirchen sind“.
Aber Margaretha lässt noch nicht locker: „Wenn wir schon bei der Ordnung der Gottesdienste sind: Wie wollen wir es mit den Gruppen halten, die ganz streng nach der Bibel leben, sich deshalb mit Recht auch evangelisch nennen. Sie tun das aber so streng, dass sie die Taufe kleiner Kinder ablehnen und für ungültig erklären, weil diese Taufe nicht in der Bibel befohlen ist. Sie glauben auch, dass Gott ganz direkt zu ihnen spricht und ihnen so hilft, genau nach den Geboten der Bibel zu leben.“ Thomas ergänzt: „Im Reich werden nicht nur in den katholischen, sondern auch in den evangelischen Gebieten diese Gruppen als Abtrünnige vom Glauben der christlichen Gemeinschaft verfolgt. Auch in Zürich müssen sie, wenn sie öffentlich von sich reden machen, die Stadt verlassen. Ich bin zwar auch nicht dafür, dass sie wie an manchen Orten wegen ihres Glaubens zum Tod verurteilt werden. Aber wenn sie mit ihrem eigenartigen Umgang mit dem Evangelium Verwirrung stiften, passen sie nicht in unsere Stadt“.
Johannes meint: „Es steht uns nicht zu, über ihr Gewissen und die Ernsthaftigkeit ihres Glaubens zu urteilen. Die kann einem sogar viel Achtung abnötigen. Aber wenn sie sich mit ihren eigenen Gemeinschaften, Gottesdiensten und Feiern von der großen Stadtgemeinde absondern, nicht dazu gehören wollen zur großen Schar der Konstanzer Christen, sind sie eine Gefahr für das Miteinander in der Stadt. Und dann hat der Rat zu entscheiden, was mit ihnen geschehen soll. Mir wäre es allerdings lieber, jeweils abzuwarten, ob und wann diese Gefahr wirklich besteht und sie nicht voreilig zu beschuldigen und zu bestrafen“.
Die vier Freunde haben sich mächtig in Fahrt geredet. Die Köpfe rauchen, aber auch Müdigkeit zeigt sich in ihren Gesichtern. Thomas sagt deshalb: „Es gäbe noch so viele Dinge zu besprechen, aber für heute lassen wir es genug sein. Aber ich finde es sehr gut, wenn ich als Bürgermeister dem Rat nicht nur die Probleme und Fragen vorlegen muss, sondern zugleich Lösungsvorschläge anbieten kann. Und eines ist mir heute besonders klar geworden: Wir, der Rat der Stadt und ihr, die Pfarrer, haben unterschiedliche Aufgaben. Aber beide gehören auch ganz eng zusammen. Und als Bürgermeister will ich gut darauf achten, dass das Auseinanderhalten genauso wie das Zusammenhalten gut gelingt“.
Zum Schluss meint Ambrosius noch: „Übrigens möchte ich euch sagen, dass ich in den nächsten Monaten nicht in Konstanz sein werde. Ich bin nach Bern eingeladen worden, um dort zu predigen. Die Berner wollen auch eine evangelische Stadt werden und möchten wissen, was sie von uns in Konstanz lernen können. Dann reise ich weiter nach Memmingen, um dort dem Rat beim Erarbeiten einer Kirchenordnung zu helfen. Da kann ich viel von dem brauchen, was auch wir gerade besprochen haben“. Johannes erschrickt: „Und wer kümmert sich um die Pfarrersaufgaben in unserer Stadt?“ Margaretha und Thomas schauen ihn mit aufmunternden Blicken an und Margaretha sagt: „Johannes, du bist der beste Vertreter von Ambrosius, den er sich nur wünschen kann. Ihr beide arbeitet so wunderbar zusammen. Der eine ist für den anderen wie sein zweites Ich. Da gibt es bestimmt keine falschen Entscheidungen, wenn Ambrosius nicht da ist. Und es ist doch auch gut, wenn wir Konstanzer mit unseren Erfahrungen anderen Städten, die wir als Verbündete gut brauchen können, helfen können“. Thomas ergänzt: „Und außerdem sind wir, Margaretha, Konrad und ich ja auch da, helfen und beraten uns gegenseitig in allen Fragen zu unseren Aufgaben. Unsere Einigkeit und unsere freundschaftliche Zusammenarbeit soll auch weiterhin das Vorbild für alle sein, die in unserer Stadt leben und auch für andere Städte, zu denen sich Ambrosius bald auf den Weg machen wird“.
Gesprächsanregungen
- Was hat Thomas wohl mit dem Satz gemeint, dass beim Regieren in der Stadt das Auseinanderhalten und Zusammenhalten gut gelingen soll?
- Nachdem die Bürger der Stadt evangelisch geworden sind, muss all das, was Bischof der und die Klöster früher allein bestimmt haben, nun neu geregelt werden. An welche Aufgaben kannst du dich gut erinnern?
- Welche Aufgaben kommen wohl noch hinzu? Denke etwa an die Schulen, die kirchlichen Feiertage im Jahr. Welche Regelungen würdest du für die Kirchen- und Stadtordnung in Konstanz vorschlagen?
- Manches von dem, was damals in Konstanz geregelt wurde, erscheint uns heute fremd. Wo hast du solche Unterschiede zwischen damals und heute bemerkt?
- Als Ambrosius seine Reisen ankündigt, erschrickt sein engster Mitarbeiter Johannes. Was geht ihm dabei wohl durch den Kopf?
- Was macht ihm Mut, seinen Vetter Ambrosius gut zu vertreten?
- Auf welche Aufgaben freut er sich wahrscheinlich?
Erzählung – Teil 4: Ausklang
Viele, viele Jahre später sitzt Ambrosius Blarer in seinem Studierzimmer im Städtchen Biel in der Schweiz. Hier hat er viel Zeit für das, was ihm in den vergangenen Jahren zu seiner Lieblingsbeschäftigung geworden ist: das Sammeln von Liedern für sein neues Gesangbuch. Das Interesse vieler Pfarrer und Gemeinden an seiner Arbeit ist groß. Gerade vorhin hat sich ein Besucher und alter Freund mit den Worten verabschiedet: „Mit den von dir gesammelten und auch selbst gedichteten Liedern, die wir alle zusammen gerne singen, blüht unsere Gemeinde im Gottesdienst auf“.
Beim Blättern in seinen Unterlagen, die er aus Konstanz hierher mitnehmen konnte, wandern auch seine Gedanken zurück in die Konstanzer Zeit. Später hat er dann dort noch seine Katharina geheiratet und einige Jahre weiter als Reformator im Herzogtum Württemberg gearbeitet. Als er dann mit seiner Familie nach Konstanz zurückkam, brach dort wenige Jahre später die Pest aus und viele Frauen, Männer und Kinder starben an dieser Seuche. Aber wie sich die Leute gegenseitig geholfen haben, das war großartig. „Sie haben verstanden, was wir ihnen gepredigt haben, nämlich dass sich rechter Glaube in der Liebe zeigt“, murmelt er vor sich hin. Margaretha hat sich unermüdlich für die Kranken eingesetzt, bis sie dann selbst von der Pest erfasst wurde und starb. Ein Jahr danach starb auch Vetter Johannes, sein engster Freund. Und dann kam der Krieg nach Konstanz. Ambrosius musste mit seiner Familie in die Schweiz fliehen und kam nie mehr in seine Heimatstadt zurück.
Er wischt die Erinnerung an die schlimmen Erlebnisse beiseite und holt wieder die so lebendig gebliebenen an die „fünf Freunde“ hervor. Er ordnet weiter die Blätter auf dem Tisch. Und dann hält er es wieder in der Hand, das Blatt mit einem der letzten Lieder, die Johannes gedichtet hat.
Katharina kommt herein und setzt sich zu ihm. Ambrosius blickt auf und sagt: „Dieses Lied ist wie eine Überschrift über unsere wunderbaren Jahre in Konstanz. Jeden Tag haben wir neu erfahren, wie Gott uns die Kraft geschenkt hat für unsere Aufgaben, und wie die Reformation in unserer Stadt wie ein heller Morgenstern aufgegangen ist. Dieses Leuchten hilft mir über die anderen, dunklen Erfahrungen hinweg und ich weiß, dass es mich bis an mein Lebensende begleiten wird.
Und dann singen und summen die beiden leise wieder dieses Lied - und ahnen nicht, wie unzählig viele Menschen es auch nach ihnen noch singen werden:
All Morgen ist ganz frisch und neu
des Herren Gnad und große Treu;
sie hat kein Ende den langen Tag,
drauf jeder sich verlassen mag.
O Gott, du schöner Morgenstern,
gib uns, was wir von dir begehrn:
Zünd deine Lichter in uns an,
laß uns an Gnad kein Mangel han.
Treib aus, o Licht, all Finsternis,
behüt uns, Herr, vor Ärgernis,
vor Blindheit und vor aller Schand
und reich uns Tag und Nacht dein Hand,
zu wandeln als am lichten Tag,
damit, was immer sich zutrag,
wir stehn im Glauben bis ans Ende
und bleiben von dir ungetrennt.
(Evangelisches Gesangbuch Nr. 440)
Literaturangaben
Bernd Moeller: Johannes Zwick und die Reformation in Konstanz. Gütersloh 1961.
Bernd Moeller (Hg): Der Konstanzer Reformator Ambrosius Blarer. Gedenkschrift zu seinem 400. Geburtstag. Konstanz und Stuttgart 1964.
Martin Rößler: Liedermacher im Gesangbuch. Liedgeschichte in Lebensbildern. Stuttgart 2001.