Mutige Frauen der Reformation
Lange Zeit blieb die Beteiligung von Frauen am Reformationsgeschehen so gut wie unbeachtet. Allein von Luthers Ehefrau Katharina von Bora war einiges bekannt, vor allem aus Äußerungen des Reformators über sie. Ein gewichtiger Grund liegt auf der Hand: Am kirchenpolitischen Geschehen, an den theologischen Disputationen, auf Reichstagen waren Frauen nicht beteiligt. Bildungswege von den Lateinschulen zum Universitätsstudium waren ihnen verschlossen. Die wegweisenden theologischen Schriften wurden von Männern verfasst. Die Reformation erschien so als ein reines Männerereignis.
Das hat sich in den letzten Jahren der Vorbereitung auf das Gedenken von Luthers Thesenanschlag vor 500 Jahren geändert. Mutige Mitstreiterinnen zur Verbreitung der neuen Sicht des Glaubens traten ins Blickfeld. Mit ihnen begeben wir uns weniger auf die große Bühne der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen als vielmehr auf Ereignisse, die das persönliche Leben im konkreten Lebenszusammenhang verändert haben. Sie wirkten auf die Beziehungen ein, in denen die Frauen lebten, auf ihr Engagement im Alltäglichen. Mit ihnen wird anschaulich, wie Menschen von der reformatorischen Botschaft ergriffen wurden und sie mit ihr die alltäglichen Lebensbezüge neu ausrichteten.
In diesem Vortrag möchte ich diese Seite des reformatorischen Geschehens exemplarisch am Beispiel der Argula von Grumbach vorstellen und dazwischen immer wieder innehalten und auf Vergleichbares und Typisches bei anderen mutigen Frauen der Reformation hinweisen.
1. Anfänge
Argula (→ Argula von Grumbach), 1492 in Ernfeld bei Beratzhausen nahe Regensburg geboren, wächst in der Familie des Reichsfreiherrn Bernhardin von Stauff im Kreis mehrerer Geschwister auf. Sie genießt eine Erziehung, die sie in ihrer Eigenständigkeit unterstützt, auch ihr Interesse an der Welt der Bücher fördert. Mit zehn Jahren bekommt sie von ihren Eltern eine Bibel in deutscher Sprache geschenkt. Mit ihr eignet sie sich das Lesen an. In ihrer Bibel kennt sie sich bald gut aus. Es ist eine der deutschen Übersetzungen, die es schon vor Luthers bahnbrechender Übersetzung gab. Die Welt der lateinischen Sprache bleibt ihr hingegen verschlossen.
Gebildete Frauen der Reformation treten in unser Blickfeld
- Das sind vor allem Frauen aus dem Adel mit ihren Zugängen zum Bildungsgeschehen:
Anna von Lodron (→Anna von Lodron), die Ehefrau des bekannten Landsknechtsführers Georg von Frundsberg, entstammt einem Südtiroler Adelsgeschlecht und öffnet als Burgherrin der Mindelburg ihr Haus für Verkünder der reformatorischen Botschaft.
Elisabeth von Calenberg (→ Elisabeth von Calenberg) ist Tochter des einflussreichen Joachim von Brandenburg und wird zur ‚Gründungsmutter ’der Hannoverschen Landeskirche.
Elisabeth von Sachsen (→ Elisabeth von Sachsen) ist die Schwester des Landgrafen Philipp von Hessen, dem engagierten politischen Führer der Reformation in Deutschland und vertritt engagiert ihre reformatorische Überzeugung im streng katholischen Umfeld des Herzogtums Sachsen.
- Auch die in Klöstern vermittelte Bildung spielt eine große Rolle:
Katharina von Bora (→ Katharina von Bora) hat sich dort wichtige Kenntnisse im Lesen und Schreiben, auch im Bereich der Heilkräuterkunde angeeignet, die ihr bei der Leitung des Unternehmens „Haus Luther“ zu gute kamen.
Elisabeth von Meseritz (→ Elisabeth Cruziger) aus dem pommerschen Adel ist auch durch die im Kloster vermittelte Freude an der Dichtung zur ersten Liederdichterin der Reformation geworden.
- Frauen aus dem gehobenen Bürgertum wirken im Reformationsgeschehen mit:
Margarete Blarer (→Konstanzer Reformation) aus Konstanz lehnt Klostereintritt und Heirat ab, übernimmt den elterlichen kaufmännischen Betrieb und unterstützt so wirkungsvoll die Reformation in der freien Reichsstadt Konstanz.
Katharina Schütz (→ Katharina Zell) entstammt einer hoch angesehenen Familie in Straßburg. Sie heiratet einen der ersten evangelischen Prediger der Stadt und mischt sich in Wort und Tat kräftig in das Straßburger Reformationsgeschehen ein.
2. Offenes Haus für alle Bedürftigen
Mit 16 Jahren kommt Argula an den bayerischen Herzogshof in München. Sie soll sich in den höfischen Kreisen sicher bewegen können und auch zu einer guten Eheschließung finden. Am Hof begegnet sie auch dem etwa gleichaltrigen Kronprinz Wilhelm, freundet sich mit ihm etwas an. Als 1509 infolge einer Pestepidemie Argulas beide Eltern sterben, verspricht er ihr zu helfen, wo er nur kann. Herzogin Kunigunde hat aber andere Pläne als eine weitere Annäherung der beiden. Sie schickt Wilhelm an den Wieder Hof und treibt die Eheschließung Argulas mit dem wesentlich älteren Friedrich von Grumbach mit den Stammgütern Burggrumbach und Zeilitzheim in Unterfranken voran. Als Mitgift zur Ehe erhält Friedrich das Pflegamt in Dietfurt, das dem Ehepaar ein gutes wirtschaftliches Auskommen sichert.
Argula kümmert sich um die Bedürfnisse der ihnen untergebenen Familien. Sie erkennt ihre Aufgabe, den Frauen mehr Kenntnisse zur gesunden Ernährung, zur Verwendung von Heilkräutern zu vermitteln. Sie lädt sie zu Unterweisungen in ihre Schlossküche ein – sehr zur Verwunderung auch zum Unverständnis ihres Ehemannes. Auch die Männer der Bauersfrauen betrachten Argulas Initiativen argwöhnisch: Wozu soll es gut sein, dass ihre Frauen klüger werden als sie selbst es sind? Vergeblich dringt Argula auf Friedrich ein, bei den Ehemännern um Verständnis für die Bildung ihrer Frauen zu werben – zumal Argula auch weiter denkt und eine umfassendere Mädchenbildung im Blick hat – für die damaligen Verhältnisse ganz ungewöhnlich und als unnütz angesehen.
Religiöse Erneuerung und soziales Engagement gehören zusammen
- Von vielen der reformatorisch engagierten Frauen ist auch ihre Fürsorge für andere in ihren eingeschränkten Lebensmöglichkeiten überliefert.
Margarete Blarer in Konstanz unterstützt die mit der Reformation auch erfolgende Neuordnung der Sorge für die Bedürftigen aus ihrem eigenen Vermögen. Mit der reformatorischen Lehre hat das Spenden mit dem Ziel, das eigene Seelenheil zu verbessern und Ablass von Sündenstrafen zu erhalten, seine Bedeutung verloren. Die neue Motivation aus einem Glauben heraus, der gerne gibt und Nächstenliebe ohne Zwang und Druck übt, musste erst wachsen und zum neuen Gefüge einer zuverlässigen Sozialfürsorge werden. Hier vorbildlich mitzuwirken, sah Margarete als ihre besondere Aufgabe an.
Katharina Zell öffnete ihr Pfarrhaus für Menschen, die um ihres Glaubens willen vertrieben worden waren. Als in Kentzlingen in der Nähe Straßburgs reformatorisch gesinnte Männer ihren zur Flucht getriebenen evangelischen Prediger aus der Stadt hinaus begleiteten, wurden auf Betreiben des Bischofs die Stadttore hinter ihnen geschlossen und sie wurden selbst zu Flüchtlingen, konnten nicht mehr zu ihren Familien zurück. Katharina brachte etliche von ihnen in ihrem Pfarrhaus unter, organisierte Unterkunft und Verpflegung der bis zu 80 Personen starken Gruppe.
Anna von Lodron lud Prediger auch unterschiedlicher evangelischer Glaubensrichtungen auf ihre Burg ein. Das waren auch Personen, die nicht den Schutz genossen, der in etlichen Territorien den Anhängern Martin Luthers gewährt wurde. Anna gewährte ihnen Bleiberecht in ihren Ländereien, neben Mindelheim auch in Tirol. Vom kaiserlichen Regiment im nahen Innsbruck wurde sie immer wieder gedrängt, diese Flüchtlinge gemäß dem Reichsrecht zu vertreiben. Aber sie begründete ihre Untätigkeit in dieser Hinsicht mit der Abwesenheit ihres Mannes und ihrer Überforderung mit dessen Stellvertretung.
3. Erste Begegnungen mit der Reformation
Argula erfährt durch ihre Familie von den spannenden Vorgängen in Wittenberg und ist von dem Neuen begeistert. Reisen nach Unterfranken zum Stammsitz der Grumbachs nutzt sie heimlich für einen Zwischenhalt in Würzburg, wo ein reformatorisch gesonnener Prediger eindrucksvoll die neue Lehre vertritt. Er bekennt sich zu seiner Frau, verteidigt die Priesterehe, wird nach seiner Vertreibung später ein wichtiger Mitarbeiter Luthers in Wittenberg (Paul Offer, der sich später Paul Speratus nennt). Er verspricht ihr, sie mit Schriften Luthers und auch anderer Wittenberger Reformatoren zu versorgen. Das tut dann auch ihr Bruder Marcellus, der zwischenzeitlich selbst in Wittenberg studiert. Von ihm erhält sie die ins Deutsche übersetzte Schrift „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“, in der Luther das System der bisherigen kirchlichen Tradition einer umfassenden Kritik unterzieht, auch Luthers Schrift an den Adel, in der er die Bildungsaufgaben für Jungen und Mädchen in den Vordergrund rückt, was bei Argula große Resonanz findet. Später knüpft sie Kontakte zum Nürnberger Reformator Andreas Osiander und findet in ihm einen wichtigen Verbündeten.
Erste Begegnungen mit der Reformation
- Hier spielen nahe stehende Personen eine wichtige Rolle.
Elisabeth von Brandenburg, Mutter der Elisabeth von Calenberg, erfuhr von ihrem Hausarzt von Luther und seinem Wirken.
Margarete Blarer in Konstanz wurde von ihrem Bruder Thomas, der in Wittenberg Rechtswissenschaft studierte, von dessen Begeisterung für die Reformation angesteckt.
- Indem Prediger der neuen Lehre bei ihren Zuhörerinnen und Zuhörern auf großes Interesse stießen, wurde so durch persönliche Begegnungen die Basis für das Entstehen evangelischer Gemeinden geschaffen.
Argula von Grumbach gewann in Paul Offer und später im Nürnberger Reformator Andreas Osiander eine für sie wichtige Kontaktperson.
Anna von Lodron wurde der Prediger Johannes Wanner, der von Kaufbeuren nach Mindelheim kam, ein wichtiger Impulsgeber in ihrer Zuwendung zur Reformation.
Elisabeth von Meseritz lernte Johannes Bugenhagen, den späteren Wittenberger Stadtpfarrer kennen, der im nahe gelegenen Kloster Belbuck Mönche zum Bibelstudien anleitete. So wie er sich entschloss, nach Wittenberg zu ziehen, um dort mehr über das Neue zu erfahren, verließ auch sie bald ihr Kloster und fand in Wittenberg eine neue Heimat.
- Eine wichtige Informationsquelle waren die Flugschriften, die nach der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern immense Bedeutung für die Verbreitung reformatorischen Gedankenguts bekamen. Briefe, Stellungnahmen, Berichte, Aufrufe, prägnante Zusammenfassungen, Rechtfertigungen, Anklagen, Beschimpfungen, Verunglimpfungen waren so nicht mehr nur auf den engen Kreis der Adressaten begrenzt, sondern erreichten eine breite Öffentlichkeit, vergleichbar mit der heutigen Revolution der Kommunikation durch die sozialen Medien.
So gewannen auch interessierte Frauen Zugang zu all dem, was mit Luthers frühen Schriften in Bewegung kam.
4. Das Reformationsgeschehen im Spiegel familiärer Beziehungen
Friedrich von Grumbach stand der Reformation ablehnend gegenüber. Dabei spielte eine gewichtige Rolle, dass er sich seinem Landesherrn, dem bayerischen Herzog, der ein erklärter Gegner der Reformation war, verpflichtet fühlte. Er musste auch befürchten, dass reformatorische Aktivitäten seiner Frau ihn selbst in Misskredit brachten. In der Tat führten sie Jahre später zum Verlust des Pflegamts Lenting und damit zu einer herben Einbuße an wirtschaftlicher Sicherheit.
Der Preis für Argulas Zuwendung zur Reformation waren erhebliche Spannungen in den familiären Beziehungen. Sie musste sich immer wieder zwischen Geheimhaltung und Ehrlichkeit ihrem Ehemann gegenüber entscheiden. Friedrich zeigte sich zwar meistens zu Zugeständnissen bereit, aber die mussten mühsam erstritten werden.
Der Blick auf die Frauen der Reformation eröffnet so das ganze Feld der persönlichen und familiären Belastungen, die viel Mut und Bereitschaft zum Ertragen und Durchstehen erforderten.
Reformatorische Frauenrollen
- Ablehnende Haltung der Ehemänner:
Elisabeth von Brandenburg wurde von ihrem Mann, Kurfürst Joachim, der ein erklärter Gegner der Reformation war, bedroht und auch eingesperrt. Sie musste um ihr Leben fürchten und floh zu ihrem Onkel, dem sächsischen Kurfürsten Johann, nach Torgau. Der sicherte ihr einen angemessenen Lebensunterhalt.
Elisabeth von Hessen wurde an den katholischen Herzoghof in Dresden verheiratet. Ihrem Ehemann Johann und damit auch ihr wurde zeitlebens eine eigene Hofhaltung untersagt. Das kinderlose Ehepaar stand unter der Fuchtel des Vaters bzw. Schwiegervaters Georg. Der wandelte die früher freundschaftlich engen Beziehungen zur hessischen Landgrafenfamilie zu einer erbitterten konfessionellen Feindschaft. Aber Elisabeth hielt allen psychischen Belastungen und auch Bedrohungen zum Trotz an ihrer reformatorischen Überzeugung fest.
Anna von Lodron hatte in Georg von Frundsberg einen Ehemann, der zunächst von Luther begeistert war. Ihm als mutigem Heerführer gefiehl, wie Luther in Worms dem Kaiser die Stirn bot. Aber Georg war auch bedingungslos kaisertreu. Das gebot ihm seine Soldatenehre. Anna hatte sicherlich viel Spielraum für ihre reformatorischen Aktivitäten, aber einen Ehemann, dem für ihre religiöse Einstellung doch letztlich das Verständnis fehlte.
- Nonnen fliehen aus dem Kloster und heiraten Priester
Das Paradebeispiel dafür ist Katharina von Boras Ehe mit Martin Luther. Was sie getan hat, war für viele ungeheuerlich: Sie brach ihr Nonnengelübde und heiratete einen Mönch, der seinerseits sein Mönchsgelübde brach. Aus traditionellen Bevölkerungskreisen schlug ihr so eine Welle an Ablehnung entgegen, mit der sie fertig werden musste.
Entlaufene Nonnen galten als ehr- und rechtlos. Die naheliegendste und sicherste Zukunftsoption war die Heirat. Wie sonst hätten sie zu sicheren Lebensverhältnissen finden können? Immerhin war der Freundeskreis um Luther groß genug, um ihr hilfreiche Beziehungen zu ermöglichen.
Elisabeth von Meseritz floh auch aus ihrem Kloster nach Wittenberg und heiratete dort Luthers Kollegen und Freund Caspar Cruziger. Das war lange nicht so spektakulär wie Katharinas Ehe mit Martin Luther. Aber auch sie war dem Vorwurf ausgesetzt, ihr Klostergelübde gebrochen zu haben.
- Frauen heiraten Priester und tragen deren besondere Herausforderungen und Belastungen mit
Als Katharina Schütz aus der hoch angesehenen, wohlhabenden Straßburger Familie den Priester Matthäus Zell heiratete, musste sie sich sicherlich heftige Vorwürfe gefallen lassen.
Das gilt auch für viele andere Pionierinnen im neuen Beruf als evangelische Pfarrfrau. Einige traten mit ihrem engagierten öffentlichen Wirken in Erscheinung, von vielen anderen wissen wir nur über biografische Notizen als Nebenbemerkungen zum Wirken ihrer bedeutenden Ehemänner.
Margarete Brenz (→ Johannes Brenz) aus Schwäbisch Hall musste mit ihrem Mann schwerkrank aus dem Pfarrhaus fliehen, als spanische Truppen die Stadt besetzten.
Anna Zwingli (→ Ulrich Zwingli) hat Ulrich aus schwerer Krankheit gesund gepflegt und musste ertragen, dass er mit nur 47 Jahren auf dem Schlachtfeld bei Kappel starb.
Von Walburga Bugenhagen (→Johannes Bugenhagen) wissen wir nur, dass sie ihren Mann öfter auf seinen monatelangen Reisen in Norddeutschland und darüber hinaus begleitete, ihn aber auch oft genug zuhause als Pfarrfrau des Wittenberger Stadtpfarrers vermissen musste.
Dazu kommen die vielen unbekannten frühen Pfarrfrauen, die dem neuen Berufsbild Gestalt gaben. Auch an ihnen wurde deutlich, dass an die Stelle des mit besonderer Weihe von den Laien abgehobenen Priesters der Pfarrer als Mitmensch getreten ist - beauftragt von der Gemeinde, sie zu leiten und eingebunden in die alltäglichen Freuden und Leiden eines Familienlebens.
So wie der Mann zum Dienst an der Gemeinde berufen wurde, bezog das auch seine Frau ein, von der entsprechende Unterstützung erwartet wurde – die Pfarrfrau als Seelsorgerin, Fürsorgerin, Kirchendienerin usw. Die ganze Pfarrfamilie wurde zu einem Experimentierfeld für das neue Bild des Pfarrers, der seine Verkündigung des Evangeliums selbst lebte, auch in seinen familiären Beziehungen anschaulich machte. Insofern waren sicherlich auch die unbekannten frühen Pfarrfrauen mutige Frauen der Reformation.
5. Schritte in die Öffentlichkeit
Argulas reformatorisches Engagement nimmt eine entscheidende Wendung, als sie von dem Fall Arsacius Seehofer an der Universität Ingolstadt erfährt. Der Student der Theologie kam voller Begeisterung für die neue Lehre aus Wittenberg an seine heimatliche Hochschule zurück und warb unter seinen Mitstudenten um das, was ihm in den Vorlesungen der Wittenberger Theologen so wichtig geworden war. Das missfiel den Ingolstädter Professoren und sie versuchten das möglichst rasch zu unterbinden. Arcadius wurde verhaftet und in Verhören zum Widerruf seiner reformatorischen Überzeugung gedrängt. Auch sein Kreis von Sympathisanten wurde zur Rückkehr zur alten Lehre genötigt. Die Eltern Seehofer wurde mit Drohungen unter Druck gesetzt, in diesem Sinne auf ihren Sohn einzuwirken – mit Erfolg, denn mit einer von ihnen gestellten hohen Kaution wurde Arcadius aus dem Universitätsgefängnis entlassen und seine Spur verliert sich im Kloster Ettal.
Argula reagiert empört und schreibt Briefe. Einen ersten richtet sie an die Theologen der Universität Ingolstadt und wirft ihnen vor, das Evangelium, dem sie doch verpflichtet sind, verleugnet zu haben.
"Ach Gott, wie werdet Ihr bestehen mit Eurer Hohen Schule, da Ihr doch so töricht und gewalttätig handelt gegen das Wort Gottes und den Arsacius Seehofer mit Gewalt zwingt, Das Heilige Evangelium in der Hand haltend, eben dies zu verleugnen. Unter Androhung von Gefängnisstrafe, ja sogar des Scheiterhaufens, habt Ihr ihn gezwungen, Christus und sein Wort zu verleugnen. Wenn ich dies so betrachte, dann zittern mein Herze und alle meine Glieder. Was lehren denn Luther und Melanchthon anderes als das Wort Gottes? Hat Euch das Christus gelehrt oder die Evangelisten, zeigt mir, wo es steht, Ihr Hohen Meister. Ich finde es an keiner Stelle in der Bibel, dass Christus, seine Apostel oder Propheten Menschen eingekerkert, mit dem Feuer bedroht, getötet oder davongetrieben haben. Man weiß sehr wohl, dass man der Obrigkeit gehorchen soll. Aber über das Wort Gottes haben sie nicht zu gebieten, nicht der Papst, nicht der Kaiser, nicht die Fürsten. ……"
Schließlich fordert sie die Hohe Schule von Ingolstadt zu einem theologischen Streitgespräch mit ihr heraus, auf der Basis der Bibel in deutscher Übersetzung, die zu ihrer Glaubensbasis geworden ist. Ihr höchst ungewöhnliche Forderung begründet sie auch wieder mit biblischen Aussagen.
"Paulus schrieb im 1. Tim.2,12: Die Weiber sollen schweigen und nicht reden in der Kirche. Da ich aber nun keinen Mann sehe, der weder reden will noch darf, halte ich mich an das Wort: Wer sich zu mir bekennt vor den Menschen, zu dem werde ich mich bekennen vor dem himmlischen Vater. Und heißt es nicht in den Psalmen: Ich schicke ihnen Kinder zu Fürsten, und Weiber werden sie beherrschen. Sagt nicht Jesus (Lk.10,21): Vater ich sage dir Dank, dass du diese Dinge verborgen hast vor den Weisen und sie geoffenbart den Kleinen".
Ein weiterer Brief geht an Herzog Wilhelm in München. Sie macht die Einschüchterung des Studenten zu ihrer eigenen Bedrängnis und erinnert Wilhelm an das ihr vor etlichen Jahren gegebene Versprechen, ihr in Not beizustehen.
Weder aus Ingolstadt noch aus München bekommt sie eine Antwort. Als ihr Ehemann Friedrich von den Briefen erfährt, reagiert er verbittert, panisch und droht Argula einzusperren. Argula sucht das Urteil eines reformatorisch Gleichgesinnten zu ihrem Vorgehen und schickt Abschriften der Briefe an den Nürnberger Reformator Andreas Osiander, den sie schon mehrfach besucht hat. Der ist von Argulas Vorgehen sehr beeindruckt und gibt den Brief an die Universität ohne ihr Wissen in Druck. Die Wirkung ist enorm. Die Flugschrift wird zu einer der meist gelesenen der Zeit. In 14 Auflagen zu etwa je 1000 Exemplaren wird sie verbreitet. Argula steht nun im Rampenlicht der Öffentlichkeit und steht auch weiter aktiv zu ihrer Überzeugung. Aber der Familienkonflikt verschärft sich, zumal Herzog Wilhelm Friedrich ausdrücklich die Amtsenthebung androht, sofern es ihm nicht gelingen sollte, seine Ehefrau zur Umkehr von ihrem eingeschlagenen Weg zu bewegen.
Frauen treten öffentlich für die Reformation ein
- mit veröffentlichten Schriften
Katharina Zell in Straßburg legt sich in einer Schrift mit dem dortigen Bischof an, der sieben Geistliche, die inzwischen geheiratet haben, durch päpstlichen Bann aus der kirchlichen Gemeinschaft ausschloss – darunter auch Matthäus Zell, ihren Ehemann. Auch sie argumentiert auf der Basis der Bibel, in der sie sich gut auskennt. Wie Argula fordert auch sie das Recht ein, als Frau in Glaubensdingen mitreden zu dürfen. Mit biblischen Aussagen stellt sie den Zölibat in Frage, geißelt auch die Scheinheiligkeit, in der er von den Bischöfen vordergründig verteidigt und zugleich stillschweigend ignoriert wird.
Ursula Weyda aus Altenburg antwortet mit einer Flugschrift auf die Schrift des Abts vom Kloster Pegau, in der er Luthers Wirken scharf verurteilte. Sie argumentiert wie die anderen Autorinnen kenntnisreich mit der Autorität der Bibel und fordert mit ihren Worten das Recht der Frauen auf Mitsprache in Glaubensangelegenheiten ein. Während die anderen Schriften der reformatorisch engagierten Frauen zunächst als Briefe an bestimmte Adressaten konzipiert waren, richtet sie ihren Beitrag von Anfang an als öffentliche Streitschrift gegen die Äußerungen des Abts von Pegau.
- indem sie mit ihren Möglichkeiten der neuen Lehre Raum zu deren Entfaltung geben
Elisabeth von Calenberg führt in ihrem im Ehevertrag zugeeigneten Teilbesitz offiziell die Reformation ein und begründet mit ihrem geistlichen Mitarbeiter Corvinus evangelische Kirchenstrukturen.
Auch Elisabeth von Rochlitz führt in dem ihr zugestandenen Herrschaftsbereich die Reformation ein. Dabei setzt sie auf die freie Entscheidung ihrer Untertanen, den altkirchlichen Traditionen treu zu bleiben oder den neuen reformatorischen Impulsen zu folgen.
Anna von Lodron weigert sich, die kaiserliche Anordnung zur Vertreibung der ‚Ketzer‘ aus ihrem Herrschaftsbereich durchzuführen.
Margarete Blarer setzt die ihr zur Verfügung stehenden Finanzmittel ein, um mit ihnen die Neuregelung der Aufgaben christlicher Nächstenliebe auf einen guten Weg zu bringen.
Katharina Zell öffnet ihr Haus für Glaubensflüchtlinge und setzt so wirksame Impulse in ihrer Stadt. Sie wirkt sogar als Predigerin.
Elisabeth Cruziger (geb. v. Meseritz)wird mit ihren dichterischen Fähigkeiten die erste Liederdichterin der Reformation, bestimmt so die entstehenden evangelischen Liedersammlungen und –bücher mit und trägt dazu bei, dass der neue Glaube in Sprache und Musik lebendig werden und bleiben kann.
Katharina Luther (geb.v. Bora) gestaltet das den ‚Luthers‘ übereignete ehemalige Augustinerkloster zu einem Ort der Begegnung mit Martin Luther, an dem die Gäste wichtige Impulse für das reformatorische Wirken an ihren eigenen Orten mitnehmen.
- Frauen der Reformation halten die Kommunikation mit Gleichgesinnten aufrecht
Sie wirken mit persönlichen Kontakten und Briefen maßgeblich an der Vernetzung derer bei, die für die Verbreitung der reformatorischen Botschaft an ihren Orten Mitverantwortung tragen. Sie halten intensive briefliche Kontakte, informieren einander, beraten, trösten, ermutigen sich gegenseitig.
Argula von Grumbach reist zum Pfalzgrafen von Simmern, dem Vertreter des Kaisers bei Abwesenheit, zu einem Anlass, zu dem viele Reichsrepräsentanten geladen sind. Sie versucht, Simmern für die reformatorische Seite zu gewinnen. Sie schreibt auch an Friedrich den Waisen in Kursachen.
Margarete Blarer und Katharina Zell tauschen sich über den Umgang mit den Mitgliedern der Täuferbewegung (Ablehnung der Kindertaufe) aus. Sie geraten dabei mit gegensätzlichen Ansichten heftig aneinander, so dass Martin Bucer, der den Briefwechsel zu diesem Thema anregt hat, dies inzwischen heftig bedauert.
Zum Schluss
- Zum Glück ist in den zurückliegenden Jahren die Tür zum Kennenlernen der ‚mutigen Frauen der Reformation‘ deutlich aufgestoßen worden. Schade ist nur, dass Vieles mangels auswertbarer Quellen noch im Dunkeln bleiben muss.
- Während sich herkömmliche Kirchengeschichtsschreibung vor allem auf der Bühne der theologischen und politischen Entwicklungen bewegt, ermöglichen die Frauen der Reformation Blicke hinter diese Bühne. Das sind ganz besonders die familiären Beziehungen, in denen sie ihren Glauben lebten, und die Beziehungen, in denen sie ihre Einblicke in das reformatorische Geschehen und Impulse für ihr Wirken bekamen.
- Die Frauen der Reformation haben ihre spezifischen Themen eingebracht: statt dem Gefüge der theologischen Lehrentwicklung das eigenständige Entdecken der Schätze der Bibel; die emanzipatorischen Impulse, die sie in der Bibel fanden und mit denen sie auf das Mitspracherecht der Frauen in religiösen Fragen pochten; auch das Verständnis der Ehe als Gottesgeschenk für beide Partner, das nicht willkürlich durch kirchliche Traditionen (Zölibat) beschnitten werden darf.
- Der Beitrag der Frauen lenkt den Blick auf die Reformation als Laienbewegung: die Laien drängten in den Städten zu Entscheidungen zur Einführung der Reformation. Sie nahmen das Evangelium beim Wort und wendeten sich mit ihm auch gegen soziale Ungerechtigkeit und Unterdrückung.
- Die Frauen der Reformation sind gute Beispiele dafür, wie die Wendung zum neuen Glauben vielfach persönliche Entscheidungen waren, die einem viel abforderten. Gegen die oft dominierenden Bilder der Reformation ‚von oben‘- nämlich durch landesherrliche Anweisungen - treten Bilder der Reformation ‚von unten‘ -nämlich mit Personen in ihren Beziehungen, die sie mit ihren Entscheidungen für den neuen Glauben auch neu gestalteten.
Literaturhinweise:
Eva-Maria Bachteler und Petra Ziegler (Hg): Auf zur Reformation. Selbstbewusst, mutig, fromm - Frauen gestalten Veränderung.Verlag der Buchhandlung der Evang. Gesellschaft, Stuttgart 2016
Sonja Domröse: Frauen der Reformationszeit. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2014
Ergänzende Literatur zu den einzelnen Personen mit dem Link zu den entsprechenden Erzählungen.