Jona und seine Erfahrungen mit Gott

Das nur wenige Kapitel umfassende Jonabuch gegen Ende des Alten Testaments zählt zum Repertoire der für Kinder gut zugänglichen biblischen Texte. Da widersetzt sich der Pro-phet Jona dem Auftrag Gottes, nach Ninive zu gehen, um dort Gottes Willen zu verkünden. Stattdessen unternimmt er eine Schiffsreise, die ihn in eine ganz andere Richtung führt. Aber mit seinem Ungehorsam macht Jona die Rechnung ohne seinen mächtigen göttlichen Auftraggeber: der schickt einen bedrohlichen Sturm, welcher das Schiff fast zum Kentern bringt. Jona sieht seine Schuld ein und lässt sich über Bord werfen. Der Sturm hört auf, die Mannschaft ist gerettet. Gott rettet auch Jona – durch ein Meerestier, das Jona so ver-schluckt, dass er im Bauch des Wals weiterleben kann – bis er an Land gespuckt wird und nun endlich widerspruchslos bereit ist, den ihm von Gott erteilten Auftrag auszuführen.

Auf den ersten Blick ist das eine Geschichte von unterlassenem Gehorsam und den sich dar-aus ergebenden üblen Folgen. Und die Lehre daraus wäre: Anweisungen der höchsten Autoritäten sind zu befolgen, sonst drohen Strafen. Wie aber passt das zur Förderung der sozialen Kompetenzen, die auf Eigenständigkeit, Autonomie, Verantwortlichkeit, Mut zu eigenen Entscheidungen – auch zu Fehlern – zielen? Beim genaueren Hinsehen fällt auf, dass sich besonders im Blick auf das zweite Kapitel des Büchleins ein anderer Akzent ergibt: Jona widersetzt sich dem Auftrag Gottes. Als das Schiff wider Erwarten in Sturm kommt, wird Jona klar, dass er einen Fehler gemacht hat, für dessen Folgen er nun einstehen muss. Zu seiner großen Freude aber stellt er fest, dass Gott eine Art Rettungsnetz für ihn ausge-spannt hat, viel wunderbarer, als er es sich je hätte vorstellen können. Er fühlt sich mit sei-ner Fehlentscheidung samt deren Folgen von Gottes barmherziger, verzeihender Zuwendung umfangen. Das gibt ihm Mut, die Geschichte seines Fehlers hinter sich zu lassen und die ihm gestellte Aufgabe anzupacken.

Was wissen wir eigentlich über diese eigenartige Jona-Geschichte? Das Jonabuch ist eine biblische Legende aus der Spätzeit Israels. In ihr geht es um die Frage, ob Gott nur für Israel da ist, oder auch für die anderen Völker, für die ganze Welt. Jona sträubt sich gegen diese weitere Perspektive und wehrt sich dagegen, Gottes Zuständigkeit auch für die ande-ren Völker anzuerkennen. Er verweigert den Auftrag, Gottes Botschaft ins heidnische Nini-ve zu tragen. Sehr subtil, mit Witz und Ironie wird dargestellt, dass die sog. Heiden religiös viel aufgeschlossener sind als der Israelit Jona. Als er auf dem Schiff im Sturm dem heid-nischen Kapitän gegenüber – gezwungenermaßen - seinen Gottesglauben bekennen muss, reagiert der mit seinen Matrosen respektvoll und diesem allmächtigen Gott gegenüber ergeben. Später dann in Ninive verkündet Jona Gottes Bußruf mit der Ankündigung drohender Strafen. Die Predigt des Jona zeigt Wirkung, Gott vergibt den Leuten in Ninive, nur Jona ist empört darüber, dass Gott auch diesen Heiden gegenüber barmherzig und freundlich zuge-wandt ist. So war die Jonaerzählung damals in Israel eine deutliche Mahnung, Gottes Güte nicht nur auf das eigene Volk zu beziehen und andere davon auszuschließen.

Auf der psychologisch-pädagogischen Ebene führt das Jonabuch in seinem zweiten Teil die zunächst von Jona erfahrene rettende Wohltat Gottes weiter zu der nötigen Konsequenz, erfahrenes Gutes auch an andere weiterzugeben. Jona sträubt sich mit aller Macht dagegen, er braucht noch einen „Denkzettel“ in Gestalt eines Schatten spendenden Baumes, der zu Jonas Unwillen seine Blätter abwirft. Das hilft ihm einzusehen, dass man Gottes Fürsorge nicht allein für sich vereinnahmen kann.

Damit die Erzählung für die Kinder überschaubar bleibt, ist sie in zwei Teilen angelegt, wo-bei der erste Teil bereits eine in sich abgeschlossene Erzählung bietet. Im Sinne der voran-gegangenen Überlegungen setzt der Erzählvorschlag deutliche Akzente: da ist zum einen Jona, der sich - aus für ihn sehr plausiblen Gründen – dem Auftrag Gottes widersetzt. Es soll in der Darstellung dieser Verhaltensweise nicht um einen Machtkampf gehen, den Jona doch verlieren muss, sondern um das Erproben seiner Selbständigkeit, die mit dem Motiv der Reise passend unterstrichen wird. Schon kleine Kinder können deutliche Bestrebungen zeigen, ihre eigenen Wege zu gehen.

Die ersten Reiseerlebnisse scheinen Jona durchaus zu bestätigen, aber dann wendet sich das Blatt. Jona merkt, dass er zu kurz gedacht, mögliche Eventualitäten nicht mit einbezo-gen hat. Die Folgen sind für ihn schlimm. Aber Gott lässt ihn nicht fallen – in diesem Fall im Meer versinken. Der Hohlraum in dem geheimnisvollen Meerestier wird ihm wie zu einem Mutterleib, der ihm neues Leben schenkt – und auch Kraft und Zuversicht, jetzt überzeugt den Weg nach Ninive zu gehen.

Der zweite Teil liest sich wie eine Gegengeschichte zur ersten: Jona hält im Auftrag Gottes den Leute in Ninive ihr tadelnswertes Verhalten vor und droht mit fürchterlichen Strafen, nämlich der Vernichtung der Stadt. Die möchte sich dann Jona keinesfalls entgehen lassen. Aber es geschieht anders: Ninive bereut, tut Buße, kehrt um – und Gott verzeiht. Jona ist empört darüber und nicht willens, die Parallele zu seinen eigenen Erfahrungen zu erkennen. Das kann dann ein guter Anlass zum Gespräch sein, vor allem mit älteren Kindern, in dem sie diese Parallele entdecken und was das für das Verhalten des Jona bedeuten könnte.
Die so akzentuierte Jona-Geschichte macht auch Parallelen zu Geschichten sichtbar, die Jesus erzählt hat. Da ist zum einen das Gleichnis vom verlorenen Sohn bzw. vom barmherzigen Vater, der den am Boden zerstörten Sohn nicht zurückweist, ihm seine Fehler nicht vorhält, sondern ihn ohne Bedingungen wieder zurückholt in ein würdiges Leben, zum anderen das Gleichnis von dem königlichen Beamten, dem bedrückende Schulden erlassen wurden, und der nicht bereit ist, sich seinerseits einem anderen gegenüber, der ihm einen lächerlich ge-ringen Betrag schuldet, großzügig zu verhalten.
 

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