Erzählung zu Markus 7,31ff: Menachem findet seine Stimme
Menachem findet seine Stimme (Markus 7,31-36)
Ziel:
- In Jesu heilendem Wirken den Zusammenhang von Erklärbarem und Geheimnisvollem wahrnehmen
- Den Zusammenhang von nonverbaler und verbaler Kommunikation erfassen
Erzählvorschlag
Schon seit seiner Geburt ist Menachem taub und stumm. Wenn andere miteinander sprechen, kann er das nur an der Bewegung ihrer Münder und an ihren Gesten erkennen. Auf diese Weise hat er manches zu verstehen gelernt. Er kann unterscheiden, ob sich Menschen streiten, oder ob sie freundlich miteinander sprechen. Aber hören kann er nichts. Er kann auch seine eigenen Töne nicht hören, die er manchmal mit seiner Stimme hervorbringt. Deshalb hat er nie das Sprechen gelernt. Sein Mund ist bis auf wenige seltsame Geräusche, die er von sich gibt, stumm.
Die Welt um ihn herum ist eine stille Welt. Das ist manchmal auch gefährlich. Er hört nicht, wenn auf der Gasse hinter ihm ein Eselskarren heranrollt und jemand „Achtung!“ ruft. Er kann sich auch nur sehr mühsam verständlich machen, wenn er etwas braucht, sei es einen Schluck Wasser oder ein Fladenbrot. Und deshalb sitzt er meistens an einer schattigen Hausecke und sieht den anderen bei deren Gesprächen zu. Wie gerne wüsste er, über was sie reden! Wie gerne würde er sich an ihren Gesprächen beteiligen! Aber so kann er nur raten und vermuten, um was es geht, und es sich in seinen Gedanken ausmalen. Ob seine Ideen stimmen, erfährt er nie.
Menachem ist zum Glück nicht ganz allein. Er hat Freunde, die ihn mit dem versorgen, was er zum Leben braucht: Essen und Trinken, Kleider und manches andere. Mit ihnen kann er sich auch verständigen. Mit ihnen kann er sogar ein bisschen reden. Und das hat er so gelernt:
Einer von den Freunden sprach ihm mit ganz deutlichen Mundbewegungen ein Wort vor, und er versuchte es nachzuahmen, mit seinem Mund – und mit seiner Stimme, aber natürlich ohne dass er es hören konnte. Sein Freund schüttelte zuerst jedes Mal den Kopf; er versuchte es immer wieder, vergeblich, zehnmal, hundertmal, vielleicht noch öfter. Und auf einmal nickte sein Freund: jetzt hatte er es richtig nachgesprochen, jetzt hatte er den richtigen Ton gefunden. Aber dann musste er wiederum viele, viele Male das Wort wiederholen, bis er es mit seinem Mund sicher hervorbringen konnte. Denn er selbst konnte ja nicht überprüfen, ob es so richtig war. Das alles war sehr mühsam, aber Menachem freute sich riesig, wenn er sich so nach unzähligen Versuchen ein neues Wort erobert hatte.
Doch dann hatte sein Freund keine Zeit mehr, so viel mit ihm zu üben. Vielleicht wurde es ihm auch zu mühsam und anstrengend, stundenlang direkt vor Menachem zu sitzen und ihn dazu zu bringen, ein bestimmtes Wort richtig nachzuahmen. Aber gerade das hatte Menachem so sehr genossen: wie sich sein Freund nur mit ihm beschäftigte, wie zwischen ihnen eine unhörbare Sprache der Freundschaft hin und her ging, vom Auge zum Mund und umgekehrt. Das war viel mehr als die paar Wörter, die er so lernte. Das war die Freude darüber, dass der andere ganz für ihn da war, dass er ihn mochte, dass sie sich mit Blicken, Bewegungen der Hände und des Kopfes so gut verstanden. Das war noch eine ganz andere Sprache als die der Wörter. Diese Sprache war reich und lebendig, die konnte er mit den Augen hören und mit den Bewegungen von Kopf und Händen sprechen.
Schade, dass das vorbei war, und so verlernte Menachem beides wieder, die wenigen Worte, die er zu sprechen gelernt hat, und auch die andere Sprache, die ihm so viel bedeutete, die für ihn so wertvoll war. Jetzt sitzt er bloß wieder an der schattigen Hausecke und versucht zu raten, worüber die Leute miteinander reden. Mit ihm reden sie nicht. Zwischen ihm und den anderen bleibt alles stumm.
Aber heute ist es anders als an den anderen Tagen. Die Leute reden mehr als sonst miteinander, sind aufgeregter als sonst. Sie zeigen dorthin, wo die Straße vom See Genezareth in die Stadt herein führt, schauen in die Richtung. Erwarten sie jemand Bestimmten? Kommt ein wichtiger Besucher in die Stadt? Fragen über Fragen – und niemand, der ihm eine Antwort geben könnte.
Da sieht er eine Schar junger Männer näher kommen. Einer von ihnen geht vorneweg, das muss so etwas wie der Anführer sein. Leute aus der Stadt laufen den Ankommenden entgegen. Da bringen sie auf der Trage den lahmen Simeon und den blinden Josef. Ist das einer, der heilen kann?
Wie er so schaut, kommen auch seine Freunde, nehmen ihn bei der Hand und gehen ebenfalls dorthin. Gleich sind sie da, und der fremde Besucher geht zuerst auf die Freunde zu, redet kurz mit ihnen und wendet dann seinen Blick mit großer Aufmerksamkeit Menachem zu. Er öffnet seinen Mund, spricht Worte zu ihm. Und da ist sie wieder da, diese Sprache der Blicke und Gesten, die er so sehr vermisst hat. Sie ist stärker und angenehmer, als er sie vorher je erlebt hatte. Der Fremde blickt zum Himmel – jetzt betet er also zu Gott, bittet ihn um Kraft – wofür wohl? Und nun greift er mit zwei Fingern behutsam in seine Ohren – und Menachem versteht diese Sprache ganz genau. Sie lautet: Du, Menachem, sollst hören, du sollst verstehen können.
Und dann geschieht noch etwas noch Aufregenderes: Er rührt mit einem Finger an seine Zunge und legt diesen Finger auf seine Zunge und sieht ihn dabei mit freundlichen Augen an. Auch diese Worte versteht Menachem wunderbar. Das heißt: du, Menachem, sollst reden können, so dass dich andere gerne und leicht verstehen. Menachem spürt, wie diese neue Sprache dieses Mannes, der gerade zu Gott gebetet hat, ihn durchdringt, ihn in seinem Kopf lebendig macht, ihm das Taube und Stumme wegnimmt.
Jetzt hört er einen tiefen Seufzer seines Gegenübers, er hört ihn wirklich – und Menachem gibt ihm Antwort: mit seinen Augen, mit seinem Gesicht, seinen Bewegungen und mit seiner Stimme, die jetzt auch wirklich seine Stimme ist. Töne der Freude kommen aus ihm heraus, ein Singen, das er vorher nicht gekannt hat.
Seine Freunde kommen herzu, voller Staunen und Verwunderung, nehmen ihn in die Arme. Und auch die anderen reden zu ihm, mit Bewegungen und mit Worten - und er kann sie verstehen. Auch er lässt seine Stimme ertönen, und sie verstehen ihn.
Gesprächsimpulse
- Eine Welt ohne Geräusche – was würde dir da am meisten fehlen?
- Wo ist es für dich ganz besonders wichtig, dass du gleichzeitig hören und sprechen kannst?
- Wo brauchst du deine Stimme ganz besonders?
- Menachem hat gespürt, wie sehr die unhörbare „Stimme“ für ihn wichtig war.
- Ist sie auch für dich wichtig? Wo brauchst du sie ganz besonders?
- In der Begegnung mit Jesus hat Menachem seine Stimmen neu geschenkt bekommen, seine unhörbare und seine hörbare Sprache. Was ist da für ihn jetzt wohl anders geworden?