Johannes Kepler und die geheimnisvolle Weltenharmonie

 

Vorüberlegungen

Johannes Kepler (1571-1630) gehört mit seinem Zeitgenossen Galileo Galilei, nach Nikolaus Kopernikus und vor Isaak Newton zu den bedeutendsten Astronomen der anbrechenden Neuzeit. Mit den drei Kepler’schen Gesetzen, welche die Ellipsenbahnen der Planeten und ihre Umlaufgeschwindigkeit nachweisen, hat er den Grund für Newtons Gravitationsgesetz gelegt. Diese Entdeckung tritt in der Erzählung etwas zurück hinter dem weniger bekannten, aber in religiöser Hinsicht bedeutsamen  geheimnisvoll-harmonischen Zusammenhang vieler Gesetzmäßigkeiten, die so wie auf der Erde auch im All gültig sind. Als Theologe aktualisiert er mit dem Erkannten das Lob Gottes als dem Schöpfer von allem.

Die Erzählung setzt zwei große Schwerpunkte. Der erste ist bei einer Reise von Graz nach Tübingen angesiedelt, bei der von Keplers bisherigem Lebensweg berichtet wird. Der andere führt uns nach Prag an den kaiserlichen Hof und zu Keplers wegweisenden Entdeckungen.

Vieles bleibt ausgeklammert: der Hexenprozess gegen Keplers Mutter, der auch ihrem Sohn Johannes viel abverlangt, die im Zuge der Gegenreformation durchgeführte Vertreibung von Protestanten aus altgläubigen Territorien, von der auch Kepler betroffen ist. Sein Konflikt mit der eigenen lutherischen Kirche wird nur kurz angedeutet; unerwähnt bleiben auch seine weiteren Aufträge, vor allem zur Erstellung von Landkarten; auch seine Bezüge zur damals noch mit wissenschaftlicher Astronomie eng verbundenen Astrologie – und schließlich alle Details, die nur mit entsprechenden mathematischen Kenntnissen nachvollzogen werden können.

 

Erzählung

Besuch in Tübingen und das „Weltgeheimnis“

Auf seiner Reise nach Tübingen im Jahr 1596 hat Johannes Kepler für den letzten Tagesabschnitt Platz in einer Kutsche finden können. Rasch sind die Insassen ins Gespräch gekommen. Kepler berichtet, dass er aus Graz kommt, damit schon etwa 600 km hinter sich gebracht hat und sich darauf freut, die Strapazen dieser Reise endlich hinter sich zu haben. Natürlich wird er gefragt, was ihn denn so weit in die Ferne verschlagen hat. Und so erzählt er, dass er in der Nähe von Stuttgart, zuerst in Weil der Stadt und dann in Leonberg aufgewachsen ist. Danach war er in den mit der Reformation in ehemaligen Klosterschulen eingerichteten Vorbereitungsschulen auf das Theologiestudium, das er dann in Tübingen begann. Er sagt: „Ich freue mich so sehr darauf, dort ehemalige Mitstudenten und Professoren wiederzusehen. Seit zwei Jahren bin ich als Mathematiklehrer an der Evangelischen Landesschule in Graz tätig. Da hat mich schon sehr das Heimweh nach Tübingen geplagt“. Wie er denn zur Mathematik gekommen sei, wird der gefragt, und Kepler erzählt von seiner Liebe zur Sternenkunde, der Astronomie. Sein hochverehrter Professor und dann auch Freund Michael Mästlin hat die in ihm geweckt. „Er hat mich gelehrt“, berichtet Kepler weiter, „das Wirken unseres Schöpfergottes auch mit den Augen des Astronomen zu sehen und in diesem Sinne die Fülle der mathematischen Berechnungen nicht zu scheuen“. Dann wendet sich das Gespräch wieder den anderen Reisenden zu.

In Tübingen angekommen, begrüßt ihn Mästlin als seinen Gast. Johannes kann es kaum erwarten, bis er aus seinem Gepäck die sorgsam gehüteten Aufzeichnungen für sein erstes Buch auspacken kann. Es hat den Titel: „Weltgeheimnis – Die Entfernungen und Umläufe der Planeten“. Es dauert nicht lange, dann sind die beiden schon ins astronomische Fachgespräch vertieft. „Ich habe Euch ja schon geschrieben“, beginnt Johannes, „wie ich mit meinen Berechnungen zu den Planetenbewegungen auch Beziehungen zu den elementaren Formen des Würfels, des pyramidenförmigen Tetraeders und weiterer Körper mit mehr als vier Ecken entdeckt habe. Zuerst konnte ich in den Unmengen an Daten und Zahlen zum Verhältnis unserer Erde zum Nachbarplaneten Mars ziemlich genau die rechnerische Figur des regelmäßigen Zwölfecks, des Dodekaeder erkennen. Meine Erwartung war geweckt, auch die Beziehungen der anderen Planeten zu ihren Nachbarn in solchen räumlichen geometrischen Grundmustern darstellen zu können. Es gelang bei der zwischen Mars und Jupiter mit dem Würfel, weiter zum Saturn mit dem Tetraeder. Es war aufregend für mich, ob nun auch unsere weiteren Planetenabstände voneinander zu den entsprechenden geometrischen Grundfiguren passen würden. Und es gelang. Zur Venus hin gehört das Zwanzigeck, der Ikosaeder, und von ihr zum Merkur der achteckige Oktaeder. Ich konnte es kaum fassen, dass die sechs Grundkörper, die schon die griechischen Philosophen beschrieben haben, tatsächlich auch die uns bekannten Planeten in ihren Abständen voneinander kennzeichnen“. Kepler beendet seinen Bericht, indem er eine Hand auf das Papierbündel legt und sagt: „Und nun hoffe ich auf Eure Hilfe, damit mein Erstlingswerk hier in Tübingen ohne Schwierigkeiten gedruckt werden kann“.

Mästlin nickt zustimmend, nimmt Johannes mit zu einem astronomischen Fachgespräch ins nahe gelegene Stiftsgebäude - in das Haus, in dem Kepler während seiner Studienzeit gewohnt hat. Dort stellt er ebenfalls seine Entdeckung vor, mit der er großes Erstaunen erregt. Einer der Zuhörer sagt beeindruckt: „Diese Verwandtschaft von Grundformen unserer irdischen Welt mit Beziehungen unter den Planeten eröffnet uns ja ein unglaublich spannendes Forschungsfeld. Unsere Himmelsbeobachtungen und Messungen enden nicht in endlosen Zahlenreihen, sondern können uns mit solchen Entdeckungen die Weite des Himmels näher bringen und immer besser zu verstehen lehren“. Ein anderer schließt an: „Ich denke auch an eine weiterführende entgegengesetzte Beziehung, nämlich zu den winzigsten Teilchen in unserer Welt, zu den Kristallen. Vielleicht führen uns die vergleichenden Wahrnehmungen bei ihnen auch zu entsprechenden Gesetzmäßigkeiten. Das unendliche Weite und das winzig Kleine in ihren Ordnungen, die beides verbinden, verweisen uns auf die Wunder der Welt, in der wir leben“. Kepler nickt zustimmend und sagt: „Auch dazu habe ich mir schon Gedanken gemacht“.

Ein anderer meldet sich und gibt zu bedenken: „Wenn ich recht sehe, folgt Ihr mit Eurem ‚Weltgeheimnis‘ dem Astronomen Nikolaus Kopernikus. Der hat ja die Behauptung aufgestellt hat, dass sich die Erde zusammen mit den anderen Planeten um die Sonne dreht. Aber das verletzt doch die Grundüberzeugung unseres Glaubens und Denkens, dass die Erde der Mittelpunkt der Welt ist. Sie ist der sichere Fels in der Brandung alles Erkennens. Und das ist auch die zuverlässigste Grundlage unseres Forschens, auch in den astronomischen Beobachtungen und Berechnungen. Wenn ich mir vorstelle, von einem sich bewegenden Standort aus anderes genau bestimmen zu wollen, muss das doch zum Scheitern verurteilt sein. Das ist ja, wie wenn ich von einer fahrenden Kutsche aus einen Acker vermessen sollte“.

Johannes antwortet: „In der Tat, von einer sich bewegenden Erde aus andere Gestirne in ihren Bewegungen zu vermessen, birgt enorme mathematische Herausforderungen. Aber indem sie nach und nach gemeistert sind, eröffnet sich das Bild unserer Erde im Sonnensystem in ganz neuer Klarheit. Dann zeigt sich nämlich, wie sich neue ordnende Gesetzmäßigkeiten auftun, mit denen wir viel mehr und besser verstehen und erklären können als vorher“. Und er fügt noch an: „Und in diesem Erkennen sind wir auf einem Weg, der uns immer mehr staunen lässt über unsere Welt und das Geheimnisvolle in ihr. Astronomisches Forschen auch gegen überkommene Standpunkte und Überzeugungen  machen den Glauben an Gott als Schöpfer von allem nicht kleiner, sondern größer“.

Mästlin hat inzwischen die Schlussseite der Druckvorlage von Keplers Schrift aufgeschlagen und sagt: „Das darf ich abschließend bekräftigen mit einem Schöpfungslied, mit dem Johannes Kepler sein Buch beendet.

„Gott, Ich suche die Spur deines Geistes draußen im Weltall,
Schaue verzückt die Pracht des mächtigen Himmelsgebäudes,
Dieses kunstvolle Werk, deiner Allmacht herrliche Wunder,.
Schaue, wie du nach fünffacher Norm die Bahnen gesetzt hast,
Mitten darin, im Leben und Licht zu spenden, die Sonne.
Schaue, nach welchem Gesetz sie regelt den Umlauf der Sterne,
Wie der Mond seine Wechsel vollzieht, welche Arbeit er leistet,
Wie du Millionen von Sternen ausstreust auf des Himmels Gefilde …
Gott, du Schöpfer der Welt, unser aller ewiger Herrscher!
Laut erschallt dein Lob ringsum durch die Weite der Erde!“ (GW 8:127f.)

Auf dem Weg zu Mästlins Wohnung sagt Johannes: „Solche Gespräche sind wichtig für mich. Da wird mir vor Augen gestellt, wo sich noch Schätze der Erkenntnis verbergen, die es freizulegen gilt“. Und mit einem Seufzer schließt er noch an: „Ach, mein größter Wunsch wäre es, hier in Tübingen forschen und lehren zu können“. Mästlin schweigt eine Weile und antwortet dann: „Ich fürchte, lieber Kepler, dazu verbaut Ihr Euch selbst den Weg“. Erstaunt schaut Johannes seinen ehemaligen Lehrer an, und der fährt fort: „Unser Landesherr folgt für sich und seine Untertanen sehr genau der reformatorischen Erneuerung durch Martin Luther. In mancherlei Äußerungen habt Ihr erkennen lassen, dass Ihr zur Lehre vom christlichen Abendmahl von dessen Lehre abweicht“.

Johannes antwortet: „Ja, ich weiß wohl, dass es übel vermerkt wurde, wenn ich da nicht bis in jedes seiner Worte hinein den Spuren Luthers gefolgt bin, sondern Zustimmung zu den Gedanken des französischen Reformators Jean Calvin gezeigt habe. Luthers Beharren auf den Worten „das ist mein Leib, das ist mein Blut, kommt mir zu engstirnig vor im Vergleich mit Calvins Überzeugung, dass in Brot und Wein des Abendmahls Jesus Christus geistig anwesend ist. Wieso können unter dem gemeinsamen Dach der reformatorischen Erneuerung unterschiedliche Sichtweisen zu sicherlich wichtigen Themen des christlichen Glaubens nicht gut miteinander auskommen?“ Mästlin zuckt mit den Schultern: „So ist eben unsere kirchliche Lehre. In diesem Zwiespalt kann ich Euch auch nicht weiterhelfen und werde auch zu Eurem Wunsch, nach Tübingen zu kommen, wenig ausrichten können“.

 

Kaiserlicher Mathematiker in Prag

Etwa fünf Jahre später, im September 1601, begegnen wir Kepler in der großen und beeindruckenden Stadt Prag, die damals Hauptstadt des Deutschen Kaisers ist. Kaiser Rudolph II. hat Johannes Kepler, zusammen mit Tycho Brahe, seinem kaiserlichen Mathematiker, dem weltberühmten dänischen Astronomen, zu einer Audienz geladen. Brahe stellt dem Kaiser seinen neuen Mitarbeiter Johannes Kepler vor und berichtet: „Kepler musste als Protestant Graz verlassen und war auf der Suche nach einer neuen Anstellung. Mit seinen außergewöhnlichen mathematischen und astronomischen Fähigkeiten konnte er für die Arbeit in Prag gewonnen werden“. Der Kaiser unterbricht Brahes Bericht über Keplers bisherige Entdeckungen und wendet sich an Brahes neuen Mitarbeiter: „Die wichtigste Aufgabe der Forschung am kaiserlichen Hof ist die Vollendung der astronomischen Tafeln“. Er meint damit das mathematische Zahlenwerk, mit dem kundige Himmelsbeobachter zu jedem Tag sowohl rückwirkend in die Vergangenheit wie auch vorausschauend in die Zukunft für jeden gewählten Tag den genauen Ort der Gestirne am Himmel bestimmen können. Brahe gibt noch zu bedenken, dass diese Arbeit wegen der nötigen mathematischen Verarbeitung der immensen Beobachtungsaufzeichnungen noch etliche Zeit in Anspruch nehmen wird. Aber da hat der Kaiser auch schon die Audienz beendet und die beiden sind nach abschließenden freundlichen Worten entlassen.

Sie begeben sich in die kaiserliche Sternwarte mit den Messgeräten für die Himmelsbeobachtungen. Schon vor einem Jahr war Kepler zu einem Besuch hier und tief beeindruckt von der Genauigkeit der Messinstrumente gewesen. Jetzt ist er es aufs Neue. Brahe führt seinen neuen Mitarbeiter weiter zu den Arbeitstischen, auf denen sich die Messergebnisse stapeln. Er weist mit der rechten Hand auf sie und sagt: „Das sind alles mathematische Aufgaben, die auf Euch warten. Sie warten auf Eure hohe Kunst der Verarbeitung zur Erkenntnis von Gesetzmäßigkeiten“.

An diesem Abend hat Johannes seiner Frau Barbara Einiges zu berichten. Sie sagt dazu: „Ich habe den Eindruck, du und Brahe, ihr passt gut zusammen. Brahe liefert dir genaueste Messdaten, und du bist der hoch begabte und unermüdliche Rechner mit ihnen“. Johannes antwortet: „Das mag so sein. Aber eine Sorge habe ich doch. Werde ich über den mathematischen Aufgaben noch Zeit finden, weiter über die Zusammenhänge der Dinge auf unserer Erde mit dem Geschehen in der Welt der Sterne,  über deren Gesetzmäßigkeiten nachzudenken?“ „Und eine Familie hast du schließlich auch“, ergänzt Barbara lachend.

Die Freude über die Zusammenarbeit mit Tycho Brahe währt allerdings nur wenige Wochen. Dann stirbt der große, berühmte Astronom völlig überraschend. Johannes trauert heftig um ihn. Den Schmerz lindert seine Ernennung zum Nachfolger als kaiserlicher Mathematiker. Er hat die angefangenen Aufgaben weiterzuführen. Ein Riesenbrocken mit unendlich vielen anstrengenden Berechnungen sind die entstehenden Tafeln zur Vermessung des Himmels mit seinen Gestirnen. Sie werden später nach ihrem Prager Auftraggeber die „Rudolphinischen Tafeln“ genannt werden. Das andere ist das weitere Erforschen, auf welchen Bahnen die Planeten kreisen. Es gilt überzeugende Belege dafür zu finden, dass sie mit der Erde zusammen um die Sonne kreisen. Und mit ‚kreisen‘ ist da mit Nikolaus Kopernikus selbstverständlich die elementare Form des Kreises gedacht. Dazu kommt schließlich noch, dass Johannes gerne das weiterführen möchte, was er in seiner Schrift zum ‚Weltgeheimnis‘ begonnen hatte. Er will noch weitere Beispiele für die Übereinstimmungen von Naturgesetzen, die hier auf der Erde gelten, mit den Bewegungen der Sterne ausfindig machen.

Die weitere Erforschung der Kreisbahn unseres Nachbarplaneten Mars nimmt ihn zunächst voll in Anspruch. Er kann auf einen reichen Schatz an früheren Messungen von Brahe und dessen Mitarbeiter zurückgreifen. Aber je länger er daran arbeitet, desto schwieriger und undurchdringlicher werden die Probleme. Nirgendwo lassen die Beobachtungsergebnisse eine geordnete Kreisbahn erkennen. Verbissen sucht er nach Fehlern in den Berechnungen. Barbara nimmt als Erste wahr, wie er darüber unleidlich und reizbar wird, wie sich in seinen Arbeitsräumen die Papierbahnen der Aufzeichnungen zu einem Haufen stapeln. Er klagt: „Wenn ich keine geordnete Kreisbahn schon unseres nächsten Planeten nachweisen kann, dann steht auch mein Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer, der alles weise geordnet hat, im Blick auf den Himmelsraum auf schwachen Füßen“. Aber wie trotzig folgt gleich der nächste Satz: „Aber ich will nicht von der Überzeugung Abschied nehmen, dass das, was uns auf der ersten Seite der Bibel als gute Ordnung der von Gott geschaffenen Welt vorgestellt wird, auch für das Geschehen im Weltall gilt. Mein christlicher Glaube soll und muss sich auch in meinen astronomischen Arbeiten bewähren!“

Auf den Rat seiner Frau und auch von Freunden hin sucht er Ablenkung in der anderen Aufgabe, zur Übereinstimmung zwischen Naturgesetzen auf der Erde und des Himmels mehr zu erforschen und damit die alles umfassende Harmonie der Welt aufzuzeigen. Das tut ihm gut, und da kommt er auch zu beachtlichen Ergebnissen. Eines Tages ruft er freudig Barbara in seinen Arbeitsraum und erklärt ihr: „Jetzt habe ich noch woanders einen weiteren Beweis für die Harmonie der Welt gefunden. Musik, die wir als angenehm empfinden, passt genau zum Lauf der Planeten. Auf ihr ungläubiges Staunen hin führt er sie zu einer Laute, zupft eine leere Seite an, drückt sie dann genau in ihrer Mitte ab und zupft den neuen Ton an. Barbara erkennt sofort: „Das ist der achte Ton, die Oktave“. Und Johannes ergänzt: „Das Verhältnis von Grundton und dem achten Ton ist also 1:2. Er führt Entsprechendes mit weiteren Tönen auf der Saite durch erklärt deren Zahlenverhältnis. Beim dritten Ton, der großen Terz, klingen 3/5 der Saite, beim vierten Ton, der Quarte klingen 3/4, beim sechsten Ton, der Sexte, 5/8, und bei 1/1 ist wieder der Grundton erreicht. „Und jetzt, pass auf!“, fährt er fort, „die Abstände der Planeten voneinander  lassen sich genauso in einfachen Zahlenverhältnissen zeigen“. Barbara fragt erstaunt: „Wie bist du darauf gekommen?“ Und Johannes antwortet: „Ich habe gelesen, was schon vor vielen hundert Jahren der griechische Philosoph und Mathematiker Pythagoras in der Musik bedacht hat, und habe das weiter ausgearbeitet“. Barbara antwortet: „Damit hast du ja endlich wieder einen weiteren Baustein für dein großes Vorhaben, die Harmonie der ganzen Welt weiter zu entschlüsseln“. Johannes nickt zustimmend, seufzt dann aber gleich: „Ach, wenn es doch mit dem Mars samt den anderen Planeten auch so ein gutes Ergebnis gäbe“.

Wieder gräbt er sich in die Messungen und Berechnungen von Tycho Brahe und auch anderen Astronomen ein. „Zumindest bin ich nicht allein mit meiner Hilflosigkeit“, murmelt er vor sich hin. Er studiert Erklärungsversuche zur Marsbahn, die nicht vom echten gemessenen Stand der Sonne ausgehen, sondern einem an anderer Stelle so platzierten, dass sich die Berechnungen mehr der gesuchten Kreisbahn annähern. Und da kommt Johannes auf einmal die zündende Idee: Eine elementare runde geometrische Form, in welcher der Mittelpunkt nicht in der Mitte ist, das ist die Ellipse. Er springt auf, schlägt die Hand an die Stirn und ruft: „Warum komme ich erst jetzt auf diesen Gedanken?“ Aufgeregt berichtet er Barbara von seiner Idee, und die freut sich mit ihm.

Erneut stürzt sich Johannes Kepler in die Berechnungen, aber jetzt ist es ganz anders als vorher. Er weiß, wonach er zu suchen hat, und die Arbeit führt zu ziemlich klaren Ergebnissen: Die Kreisbahn des Mars ist eine Ellipse, und wie bei zwei ineinandergeschobene Kreise gibt es zwei Mittelpunkte, das heißt Brennpunkte, und einer kennzeichnet den Stand der Sonne. Auf seiner Bahn ist der Mars also mal näher zur Sonne, mal ferner von ihr. Mit den weiteren astronomischen Berechnungen geht es jetzt zügig voran. Immer öfter kann Johannes zufrieden Barbara von Übereinstimmungen der Erwartungen mit deren Bestätigung in den entsprechenden mathematischen Ergebnissen berichten.

Auch heute ist wieder solch ein Entdeckertag: Johannes ruft Barbara zu sich, um ihr seinen Fund zu erklären. Er malt auf eine Tafel mit Kreide eine Ellipse, kennzeichnet auf einem ihrer Brennpunkte die Sonne, malt den Mars auf einen sonnenfernen Punkt der Ellipse, zieht ihn mit kräftigen Strich ein Stück auf der Bahn weiter und sagt: „Nehmen wir an, dieser Abschnitt der Marsreise um die Sonne ist eine Woche. Mit Strichen von Anfang und Ende der Woche jeweils zur Sonne hin entsteht so ein Lichtkegel, den Johannes markiert. Dann malt er das Entsprechende zu einer sonnennahen Woche. Barbara stellt fest: „Da ist die Fläche des Lichtkegels viel kleiner“.  Johannes nickt und antwortet: „Was müsste geschehen, damit die Lichtkegel immer gleich groß sind?“ Barbara zögert und sagt: „Da müsste der Planet an der sonnennahen Seite in einer Woche mehr Weg auf der Ellipse zurücklegen“. „Genau“, bestätigt Johannes, „und das ist auch das Gesetz, das ich entdeckt haben, und das sich in meinen Berechnungen bestätigt hat: Der Lichtflächenkegel ist immer gleich groß. Der Mars wird schneller, wenn er der Sonne näher kommt, und langsamer, je weiter er sich von ihr entfernt. Was für mich und andere Forscher immer etwas Unregelmäßiges, Unordentliches war, das nicht ins Gesamtbild gepasst hat, das ist jetzt genau umgekehrt. Diese wechselnde Bahngeschwindigkeit, das ist die genau bestimmbare Ordnung. Dann fügt er noch an: „Ich bin ja schon so gespannt, ob das auch für die anderen Planeten so gilt“. Barbara antwortet nachdenklich: „Es ist, wie wenn die Sonne mit einer besonderen Kraft die Planeten zu sich her zieht und dann auch wieder von sich wegstößt.“ „Genau“, bestätigt Johannes. „Ich kann mir auch gut vorstellen, dass sich die Sonne selbst dreht und alle Planeten schwungvoll in ihre Drehbewegung mit hinein nimmt. Aber was es mit dieser Kraft auf sich hat und wie sie entsteht, das ist mir noch ein großes Rätsel“.

Weil Johannes Kepler nicht genug bekommen kann in seiner Entdeckerfreude, will er nun auch prüfen, ob dieses Gesetz der wechselnden Planetenbewegung auch für die anderen Gestirne gilt. Zuallererst sollte es im Blick auf die Erde überprüft werden. Barbara hat sich von der Begeisterung ihres Mannes anstecken lassen und lässt sich auch gerne den Fortgang seines Forschens erklären. Er sagt: „Denk an den Acker, der von einem fahrenden Wagen aus vermessen werden soll. Wenn die Geschwindigkeit des Wagens immer gleich ist, kann man mit ihr noch ganz gut rechnen. Aber wenn sie wechselt und man das nicht weiß, sind die Fehler unvermeidbar“. Barbara ist schon gespannt, mit welcher Idee er jetzt die erwartete unterschiedliche Geschwindigkeit der Erde auf ihrer vermuteten elliptischen Bahn bestimmen will. Sie ist dabei, als Johannes mit seinen Mitarbeitern in der Sternwarte das Vorgehen bespricht. „Wir versuchen einen Blick vom Mars auf die Erde zu berechnen“, beginnt er. „Der Umlauf des Mars um die Sonne dauert etwa 321 Tage länger als der unserer Erde. Wählen wir also irgendeinen Marstag aus und bestimmen für ihn den Stand der Erde. Nach 686 Tagen ist die Stellung des Mars wieder dieselbe, aber die der Erde ist eine andere. Mit der Fülle der Messungen von Brahe können wir das auch für weitere Marsjahre wiederholen. Immer wieder steht die Erde anders als das Marsjahr zuvor. Und daraus können wir die Erdbahn samt ihrer unterschiedlichen Bahngeschwindigkeit berechnen“. Als die mathematischen Ergebnisse auch hier das neue Planetengesetz bestätigen, freut sie sich gerne mit den Sternenforschern mit. Für die anderen Planeten gilt ebenso die entdeckte Ordnung ihrer Bewegungen.

Zu Barbara sagt Johannes an einem der nun viel entspannteren Abende: „Du hast mich in dem Suchen nach der göttlichen Ordnung, die wie auf der Erde, so auch in den Himmelswelten gilt, aufmerksam begleitet, warst in all dem Auf und Ab von Hoffnungen und Enttäuschungen, Vermutungen und Bestätigungen mit dabei - bis zu dem guten Ergebnis, über das wir uns alle freuen. Du kannst auch am besten ermessen, was das für mein Glaubensbekenntnis zu Gott dem Schöpfer bedeutet, nämlich dass seine guten Ordnungen überall gelten, wohin wir auch blicken und denken“.

Nach einer Weile fügt er noch hinzu: „Das mit der Kraft, aus der heraus die Planeten immer wieder angetrieben werden, das lässt mir keine Ruhe. Da gibt es bestimmt noch mehr zu entdecken. Aber das gehört auch zu meinem Glaubensbekenntnis dazu, dass mit dem, was wir entdecken, immer auch neue Fragen entstehen – und so wird die Weltharmonie immer auch unser großes Weltgeheimnis bleiben.

 Zurück zu:  Die Geschichte des Monats