Oktober 2020 - M. L. King
Martin Luther King – sein gewaltloser Kampf gegen Rassendiskriminierung in den USA
Vorüberlegungen
Martin Luther King, geboren am 15.1.1929 in Atlanta, einer Stadt im Bundesstaat Georgia im Süden der USA, wurde als Pfarrer einer Baptistengemeinde und Leiter landesweiter Vereinigungen gegen Diskriminierung wegen der Hautfarbe zur wohl bekanntesten Persönlichkeit im Kampf gegen die Rassentrennung in den Vereinigten Staaten. 1964 wurde er mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Bei einem Attentat 1958 wurde er lebensgefährlich verletzt, zehn Jahre später im Alter von 39 Jahren als Opfer einer Gewalt erschossen, gegen die er stets im Zeichen des gewaltlosen Widerstand angetreten war.
Die Erzählung knüpft an eine frühere zu diesem Thema an (> Busstreik in Montgomery, Juni 2012). Dort ging es um Rosa Parks, die sich weigerte, im Bus ihren Sitzplatz für einen Weißen freizumachen. Diese neue Monatsgeschichte zu Martin Luther King ist im Umfeld der von ihm mitverantworteten Kampagne in Birmingham / Alabama im Jahr 1963 angesiedelt. Ein Gespräch mit Kings Mitstreitern führt in die damalige Situation ein. Ein weiteres anlässlich seines Besuchs mit seinem befreundeten Anwalt Clarence Jones bei dem berühmten schwarzen Sänger Harry Belafonte eröffnet Rückblicke auf Kings bisherige Biografie und Ausblicke auf die geplanten Boykottmaßnahmen im Zeichen der Gewaltlosigkeit.
In der darauf folgenden Erzählszene begegnen wir King in seiner Gefängniszelle in Birmingham, in seiner Auseinandersetzung mit den schriftlichen Vorwürfen seiner weißen Pfarrerskollegen, mit der die Ursachen, Absichten und Ziele der Protestbewegung weitere Konturen gewinnen. Der Schluss führt zum Marsch der Vielen nach Washington noch im gleichen Jahr und endet mit Worten aus Kings berühmt gewordener Rede „I have a dream“.
Erzählung
Zwischen Montgomery und Birmingham
Drei Männer sind im Pfarrhaus der Dexter Avenue Baptist Church in Montgomery im Süden der USA ins Gespräch vertieft. Der eine ist Martin Luther King, Pfarrer dieser Gemeinde, der zweite Ralph Abernathy, der zu Kings unverzichtbarem Mitstreiter geworden ist, und schließlich Fred Shuttlesworth, Pfarrer einer Gemeinde der Schwarzen in Birmingham. Mit einem Rückblick auf die Protestaktion vor etlichen Jahren beginnt Martin das Gespräch: „Ich war ja so gespannt, ob wir Schwarzen aus unseren Gemeinden den Verzicht auf Fahrten mit den Linienbussen solange durchhalten konnten, bis wir das Ziel unseres Protests erreicht hätten: Wir wollen als Fahrgäste wie die Weißen auch in die Linienbusse einsteigen dürfen. Wir wollen nicht länger als minderwertige Fahrgäste behandelt werden, die grundsätzlich den Weißen den Vortritt zu gewähren haben und immer aufspringen müssen, wenn einer von ihnen den Platz beansprucht. Als die ersten Busse in unserem Stadtgebiet der mehrheitlich Dunkelhäutigen ziemlich leer fuhren und die Busgesellschaft deshalb kaum Fahrgeld einnehmen konnte, als unsere Schwarzen die Mühen von langen Wegen zu ihren Arbeitsstätten hin und zurück täglich auf sich nahmen, und das Woche um Woche, da war ich stolz auf uns“.
Ralph ergänzt: „Und das, obwohl uns die Stadtverwaltung immer wieder neue Prügel in den Weg legte, etwa das Mitnehmen in privaten Autos verbieten wollte“. Fred fügt an: „Aber dann habt ihr doch euer Ziel erreicht mit dem gewaltlosen Widerstand, ohne mit Gewalt zu drohen, ohne Straßenkämpfe, aber mit viel Bereitschaft zum Verzichten. Damit habt ihr die so demütigende Trennung zwischen Schwarzen und Weißen überwunden – sehr klug mit einem Streik dort, wo es wehtut, nämlich wenn die Kasse nicht mehr stimmt“ Er lächelt dabei verschmitzt und fährt fort: „Das sollten wir auch für die Protestaktionen in meiner Stadt Birmingham bedenken“.
Ralph meint dazu: „Lange genug haben wir ja in unseren Kirchen der Schwarzen, die von den weißen Glaubensgeschwistern wie etwas Unanständiges gemieden werden, von Gottes Liebe zu allen Menschen gesprochen. Er hat uns alle zu seinem Ebenbild geschaffen und bestimmt“. Martin ergänzt: „Und es ist damit auch Gottes Wille, diese Trennung in zwei unterschiedliche Menschenwelten, diese unnatürliche Trennung zwischen Weißen und Schwarzen aufzuheben – und das ganz nach Jesu Gebot, Gewalt nicht mit Gegengewalt zu beantworten, sondern mit klugen und wirkungsvollen Maßnahmen, die unsere weißen Geschwister zum Nachdenken bringen“. „Das es ist euch ja wohl gelungen“, bestätigt Fred erneut. „Wir in Birmingham haben es da schwerer mit unserem Gouverneur Connor, der mit aller Macht und Gewalt an der Trennung von Schwarzen und Weißen festhält. Als mit euren erreichten Zielen neue Bestimmungen gegen die so unnatürliche Trennung erlassen wurden, kämpfte er weiter eigensinnig dagegen. Weil er es nicht ertrug, dass von Parkbänken und Trinkwasserbrunnen die Schilder „Nur für Weiße“ abzuschrauben waren, ließ er lieber die Bänke selbst abbauen und die Brunnen zusperren. So verbohrt ist er und hat alle auf seiner Seite, die solche Unterscheidung in Menschen erster und zweiter Klasse als gottgewollt ansehen“.
Martin gibt zu bedenken: „Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir uns in den Weißen, die uns das Leben schwer machen, nicht unsere Gegner oder gar Feinde sehen sollten, sondern unsere Mitmenschen – nämlich solche, die auf ihre Weise in Not sind, in der Not ihres verengten Blicks auf die Welt um sie herum. Es ist eine Enge, die sich gegen sie selbst wendet, die ihnen selbst zur Last wird. Es gilt ihnen in Liebe zu begegnen, nämlich in einer Liebe, die heilen will, auch wenn das erst einmal mit Widerstand und Schmerz verbunden ist“.
Nach einer kleinen Pause spricht Martin weiter: „Lasst uns nun noch gemeinsam bedenken, was wir uns jetzt von unserem Gönner und Unterstützer Harry Belafonte erwarten könnten. Seit Jahren schon steht er auf unserer Seite und unterstützt uns damit. Als weltweit bekannter Sänger ist er ein wichtiger Bundesgenosse in unserem Kampf um Gerechtigkeit“. Ralph Abernathy greift gleich die Anregung auf und erklärt: „So erfolgreich der Busstreik bei uns in Montgomery war und auch Gesetzesänderungen bewirkt hat, so enttäuschend war für uns auch Vieles in den Jahren seither. Die Wirkung unserer Aktion ist ziemlich verpufft. So nach und nach ist alles wieder in das alte Fahrwasser zurückgekehrt. Gut, das mit der Busbenutzung ist anders geworden, aber sonst ist es bei der Abgrenzung der Weißen von den Schwarzen geblieben. Die weißen Christen feiern weiterhin ihre Gottesdienste in ihren Kirchen, bleiben unter sich und wollen mit uns nichts zu tun haben. Das schmerzt mich als Pfarrer in einer Gemeinde der Schwarzen in besonderer Weise. Uns Dunkelhäutigen wird nach wie vor das Wahlrecht meistens verweigert. Auch in den Berufen, die Ansehen genießen und gutes Einkommen bieten, bleiben die Weißen unter sich. Gute Schulen bleiben ihren Kindern vorbehalten. Das darf nicht so bleiben. Wir brauchen für unser Anliegen nicht nur die Aufmerksamkeit in unseren Bundesstaaten des Südens, sondern in ganz Amerika, ja sogar über Amerika hinaus in der ganzen Welt. Wir brauchen Botschafter unseres Kampfes für Gerechtigkeit, die nicht müde werden, auf den Widerspruch hinzuweisen – diesen Gegensatz zwischen den großen Worten in unserer Verfassung zur Würde jedes Menschen auf der einen Seite und der Wirklichkeit, die uns als Schwarze weiterhin in die Ecke des gesellschaftlichen Leben stellt, auf der anderen. Wir brauchen weltweite Unterstützer in diesem Kampf“. Er blickt auf Martin und sagt: „Du hast ja durch deine Vorträge, Reden, Bücher, die weit über Amerika hinaus gelesen werden, schon so viel erreicht. Aber weitere Unterstützung sollte uns hochwillkommen sein. Und Harry Belafonte kann uns mit seiner Bekanntheit und auch mit seinen Spenden dabei eine große Hilfe sein“.
Zu Besuch bei Harry Belafonte
Einige Zeit später, am 31. März 1963 reist Martin Luther King mit seinem Rechtsanwalt und Freund Clarence Jones zu Belafonte nach New York. Sie werden freundschaftlich begrüßt. Der berühmte Fernsehstar erinnert sich gerne an ein früheres Gespräch mit King und auch an sein Versprechen, sich für die Bürgerrechtsbewegung der Menschen um Martin Luther King auch weiterhin einzusetzen. Heute ist auch etwas mehr Zeit zum Plaudern, und Belafonte erkundigt sich über den bisherigen Werdegang von King: „Wie sind Sie eigentlich zu diesem seltsamen Vornamen Martin Luther gekommen?“ fragt er. Martin antwortet: „Auch mein Vater war Prediger in einer Baptistengemeinde. Durch freundliche Unterstützung konnte er nach Deutschland reisen und auch die Orte aufsuchen, an denen der Reformator Martin Luther gewirkt hat. Aus seiner Begeisterung für diesen Mann und seinen Glaubensmut hat er mir diesen Vornamen zugeteilt“. Er ergänzt dann noch: „Und ich trage diesen Namen gerne, gerade jetzt in der schwierigen Zeit, die uns Schwarzen in der Bürgerrechtsbewegung viel Mut abverlangt“. Martin Luther King erzählt dann auch noch, wie er als Kind die Trennung zwischen Schwarzen und Weißen erlebt hat. „Für mich war es schmerzlich, dass ich so oft nur wegen meiner Hautfarbe mit anderen weißen Kindern nicht spielen durfte. Als ich einmal mit meinem Vater auf einer Zugreise unterwegs war und er mich als etwas ganz Besonderes in den Speisewagen mitnahm, mussten wir hinter einem Vorhang Platz nehmen. Anderen Essensgästen sollte unser Anblick nicht zugemutet werden. Als junger Mensch erlebte ich Angriffe von Ku-Klux-Klan-Anhängern, die mit ihren spitzen weißen Kapuzen verkleidet Häuser in Brand setzten und unter den Schwarzen Angst und Schrecken verbreiteten. Später dann kam ich bei meinem Theologiestudium auch mit den Anregungen zum gewaltfreien Widerstand in Berührung. Was ich über den berühmten indischen Denker und Politiker Mahatma Gandhi las, begeisterte mich. Ich lernte Coretta kennen und wir heirateten. Für uns beide wäre es wohl angenehmer gewesen, eines der Angebote von Hochschulen anzunehmen, aber Coretta trug die Entscheidung mit, als Pfarrer in eine Baptistengemeinde der Schwarzen in Montgomery zu gehen“.
Belafonte unterbricht ihn: „Und dort haben Sie ja erfolgreich den Busstreik organisiert, sind zum Präsident einer einflussreichen Bürgerrechtsbewegung gewählt worden, haben durch ihr überzeugendes Reden und Handeln, durch ihre Standhaftigkeit und auch ihre Bücher weit über die Grenzen unseres Landes hinaus großes Ansehen gewonnen“. Jetzt schaltet sich auch Clarence ins Gespräch ein: „Diese große Bekanntheit hat allerdings auch ihre Schattenseiten: Oft ist er eingesperrt worden. Einmal wäre er bei einem Attentat fast ums Leben gekommen. Er wird mit wüsten Beschimpfungen und Morddrohungen überflutet, in sein Haus wurde eine Bombe geworfen – die glücklicherweise nur Sachschaden anrichtete. Das ist ein Preis seiner Berühmtheit“.
Nach einer kurzen Pause spricht Martin weiter: „Meine Bekanntheit ist für unseren Auftrag sehr wichtig. Die Flamme unseres Kampfes für Gerechtigkeit darf nicht erlöschen. Sie muss vielmehr zum Feuer zu werden, um wirksam bleiben zu können. Darum brauchen wir die Unterstützung von möglichst vielen bekannten und geschätzten Persönlichkeiten in unserem Land“. Harry Belafonte hat aufmerksam zugehört und nimmt diesen Ball gerne auf. Er fragt gleich nach: „Was sind Ihre nächsten Vorhaben?“ Jetzt berichten die beiden von ihren Plänen für Birmingham: „Wir wollen in Kaufhäusern ‚sit-ins‘ durchführen und das Verkaufen und Verdienen stören. In Kirchen der Weißen planen wir ‚kneel-ins‘, indem auf dem Boden verharren und warten, was mit uns geschieht. Wir wollen Protestdemonstrationen in der Stadt durchführen, wohl wissend, dass wir dann von den Polizisten hart angegangen und viele in den Gefängnissen landen werden. Aber Bilder davon müssen eine große öffentliche Wirkung haben. Dazu brauchen wir auch Ihre Unterstützung. Überall sollen Menschen davon erfahren können“.
Belafonte fragt weiter: „Was wird mit den Gefangenen?“ Jones antwortet: „Wir wollen sie wieder freikaufen, um ihnen weiteres Leid zu ersparen. Dafür sind wir freilich auf großzügige Spenden angewiesen“. Der berühmte Sänger hat gut verstanden und nickt zustimmend: „Dafür kann ich bestimmt eine erhebliche Summe zusammenbringen“. Martin ergänzt noch: „Das ist uns eine wichtige Zusage, für die wir sehr dankbar sind. Eigentlich sollte ich während dieser wichtigen Tage in Birmingham unterwegs sein, um Spenden einzusammeln. Aber mein Platz muss vorne dran sein bei den Protestaktionen. Das wird durch Ihre Zusage möglich. Damit kann ich mitten im Geschehen dieser Aktionen, in meinen Reden unser Vorgehen deutlich als ein Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer aller Menschen ausrufen, der uns alle gleichermaßen zu seinen Kindern bestimmt hat“.
Auf dem Heimweg sind Martin und Clarence zufrieden über ihr Gespräch mit Belafonte. Clarence gibt allerdings zu bedenken: „Der Gouverneur wird ein harter Brocken für uns werden, der vor keinen Gewaltmaßnahmen zurückschreckt. Martin nickt und antwortet: „Umso mehr ist es für unsere Leute wichtig, dass wir uns von dem Zorn, Hass und der Gewalt, die uns entgegenschlagen wird, nicht anstecken lassen, sondern gewaltfrei bleiben. Schließlich ist ein gerechtes Miteinander aller in Frieden unser Ziel“. Clarence ergänzt: „Und gerade deshalb musst du mit deiner Autorität und mit der Überzeugungskraft deiner Worte vorne dran sein“.
Im Gefängnis
Als dann die Aktionen in Birmingham beginnen, erregen wie erwartet die Fotos und Berichte von grober Gewalt gegen die Gewaltlosen große Aufmerksamkeit. Martin Luther King wurde wie befürchtet auch als einer der ersten verhaftet. Jetzt findet er sich in einer engen Gefängniszelle wieder, auf einem Bett ohne Matratze und Decke, ohne Kontakt zur Außenwelt und ungewiss, wie lange er hier festgehalten werden wird. Große Sorgen macht er sich um seine Familie, um Coretta und die Kinder. Was wird mit ihnen geschehen? Und wie wird es mit den Protestaktionen weitergehen?
Am zweiten Tag seiner Verhaftung darf ihn gemäß dem Gesetz sein Anwalt Clarence Jones besuchen. Der berichtet ihm von den Vorgängen in der Stadt und beide beraten über das weitere Vorgehen. Dann zieht der Anwalt noch ein Blatt mit einem gedruckten Aufruf der weißen Pfarrer von Birmingham hervor, das er hereingeschmuggelt hat, und gibt es Martin zu Lesen. Der überfliegt die Zeilen, bleibt immer wieder an einzelnen Sätzen hängen. Sein Gesicht zeigt Enttäuschung, Ratlosigkeit, auch Ärger und Zorn und schließlich tiefe Niedergeschlagenheit. Er blickt auf und sagt müde zu Clarence: „Und das sind unsere weißen Brüder und Pfarrer im gemeinsamen Glauben an den dreieinigen Gott?“ Er liest erneut, und jetzt auch laut: „Weil Gott die Menschen in unterschiedlichen Rassen geschaffen hat, entspricht auch unterschiedlicher Umgang mit ihnen seinem Willen“. Martin schaut seinem Gegenüber fragend ins Gesicht: „Kannst du das verstehen?“ Dann liest er weiter: „Aufgabe von uns Pfarrern ist die Verkündigung des Wortes Gottes und das Gebet, nicht aber das Einmischen in die Politik“. Und weiter: „Pfarrer King sollte sich mit seiner ganzen Kraft seiner eigenen Gemeinde widmen. Dort hätte er genug zu tun und sollte sich nicht in die Angelegenheiten anderer einmischen“. Martin schüttelt den Kopf: „Eine Unverschämtheit ist das. Schließlich bin ich zum Präsidenten unserer Bewegung gewählt worden!“
Statt einer Antwort muss sich Jones wieder verabschieden. Die Sprechzeit ist vorbei. Er steckt Martin noch einen Stift und etwas Papier zu und sagt: „So sehr wir dich jetzt draußen bräuchten, so sehr kannst du deine Zeit hier für eine Antwort auf diesen Aufruf nutzen. Den kann ich auch wieder am Posten vorbei schmuggeln, in Umlauf bringen und so der Verunsicherung entgegenwirken, die der Aufruf der weißen Pfarrer bei den Leuten in der Stadt ausgelöst hat.
Martin Luther King ist wieder allein in seiner Zelle. Das Gespräch mit seinem Freund klingt noch in ihm nach. Er nimmt erneut das Papier in die Hand und liest. Mangelnde Geduld wird ihm da vorgeworfen: „Es braucht seine Zeit, bis berechtigte Anliegen der schwarzen Bevölkerung in entsprechenden Gesetzen berücksichtigt werden. Ungeduld, die zugleich Unfrieden stiftet, ist nicht nach Gottes Willen“. Aber Martin Luther King hat genug von solchen Vertröstungen auf irgendwann in späterer Zeit. Und er schreibt: „Für jene, die nie den Stachel der Rassentrennung in sich spüren mussten, ist es einfach, Geduld zu fordern. In einer Zeit, in der Düsenflugzeuge um die ganze Welt fliegen können, kriechen wir hier immer noch im Tempo einer Postkutsche auf das Recht zu, an einer Imbissstätte eine Tasse Kaffee zu erhalten“. Er erinnert sich an Fahrten über Land, als er in keinem Hotel übernachten durfte, weil er eben kein Weißer war und die Nächte im Auto verbringen musste. In seiner Antwort fragt er seine weißen Brüder, was sie als Farbige ihrer sechsjährigen Tochter erklären würden, wenn sie sich auf einen Besuch in dem überall im Radio und auf Plakaten angepriesenen Vergnügungspark gefreut hat, aber dann am Eingang mit ihrer Familie zurückgewiesen wird, weil sie die falsche Hautfarbe hat.
Martin ist in seiner Antwort angetrieben von dem Drang, seine weißen Pfarrersbrüder mit hineinzunehmen in das Leben vor so vielen verschlossenen Toren und ihnen zu zeigen: Ihr Rat, auf bessere Zeiten zu warten, ist kein Zeichen des Friedens. Es ist bei denen, die etwas ändern könnten, nur eine bequeme Ausrede, und bei den anderen, die keinen Willen zur Veränderung erkennen können, die Quelle von Hoffnungslosigkeit. Es ist bei ihnen die Mutlosigkeit, die auch in Gewalt umschlagen kann. Er schreibt und schreibt, dazu hat er jetzt ja viel Zeit. Die Zettel, die ihm Clarence Jones dagelassen hat, sind schnell auch in kleinster Schrift vollgeschrieben. Auf Toilettenpapier schreibt er weiter, unermüdlich.
Als ihn an einem der folgenden Tage Clarence wieder besuchen darf, muss Martin ihm erst genau erklären, wie er sich in diesen Papierfetzen zurechtfinden kann, bevor sie dann sicher verstaut aus dem Gefängnis hinausgebracht werden können. Mit seinem Freund kann er auch über seine Enttäuschung reden, die ihn beim Lesen der mitgebrachten Erklärung und seiner ausführlichen Antwort begleitet hat. „Sie predigen doch auch die Nächstenliebe, die sich mit wachsamen Augen und Mitgefühl den Mitmenschen in Not zuwenden soll, und sind blind für das schreiende Unrecht, dem wir Schwarzen tagtäglich ausgesetzt sind!“
Clarence berichtet ihm von dem Verlauf der Protestaktionen in der Stadt: „Alle warten darauf, bis du endlich wieder frei bist und sagen kannst, wie es weitergehen soll. Harry Belafonte hat das Geld dafür schon bereitgestellt. Martin, wir brauchen dich dringend!“ Der antwortet: „In den vielen einsamen Stunden hier im Gefängnis spürte ich sehr deutlich die Last, die auf mir liegt. Wie finden wir den richtigen Weg zwischen dem Protest, der unsere schwarzen Brüder und Schwestern aus ihrer stummen Hilflosigkeit herausholt und den nötigen Druck bei den Mächtigen aufbaut, auf der einen Seite, und der Gefahr auf der anderen, dass dieser Protest der Gewaltlosigkeit in Wut und Hass umschlägt und zur Gegengewalt wird?“ Clarence hört aufmerksam zu und spürt deutlich, wie schwer für seinen Freund diese Last ist. Der spricht weiter: „Da schreiben die weißen Brüder weiter, unsere Aufgabe sei das Gebet und nicht das Eingreifen in das politische Geschehen. Haben die eine Ahnung davon, dass das Gebet für mich die Quelle ist, aus der ich die Kraft schöpfen kann für die Aufgaben, die mir zugewachsen sind? Im Gespräch mit Gott finde ich die Ruhe und den Mut, die nötigen Entscheidungen zu treffen und die Worte zu finden, mit denen ich sie gut begründen kann“.
Wieder ist die Gesprächszeit mit Clarence Jones knapp bemessen. Der hütet die von King vollgeschriebenen Papiere als einen kostbaren Schatz und hilft so mit, dass daraus ein mit Schreibmaschine getippter, übersichtlicher Text wird. Er ahnt schon, dass neben den vielen bedeutenden Sätzen, die sein Freund schon verfasst hat, die Worte in diesem kleinen Papierbündel mit zu seinen wichtigsten gehören werden.
Ausblick
Martin Luther King und seine Freunde mussten feststellen, dass die Proteste in Birmingham nicht den erwarteten Erfolg brachten. Der Gouverneur, der mit harter Hand und der von ihm befehligten Polizeigewalt für Ruhe und Ordnung in seinem Sinne sorgte, schien doch sein Ziel erreicht zu haben. Aber dann geschah noch im selben Jahr eine bedeutende Wende: Am 28. August 1963 bewegen sich bis zu 250.000 Menschen in einem Protestzug gegen die Rassentrennung nach Washington. Jetzt beteiligen sich daran auch die Kirchen der Weißen. King wird von Präsident Kennedy und Vizepräsident Johnson empfangen. Berühmte Künstler sprechen zu der riesigen Menge. Und hier hält auch Martin Luther King seine am meisten beachtete Rede: „Ich habe einen Traum“.
Ich habe einen Traum, dass eines Tages die Söhne von früheren Sklaven und die Söhne von früheren Sklavenbesitzern auf den roten Hügeln von Georgia sich am Tisch der Bruderschaft gemeinsam niedersetzen können.
Ich habe einen Traum, dass eines Tages selbst der Staat Mississippi, ein Staat, der in der Hitze der Ungerechtigkeit und in der Hitze der Unterdrückung schmort, zu einer Oase der Freiheit und Gerechtigkeit verwandelt wird.
Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der sie nicht wegen der Farbe ihrer Haut, sondern nach dem Wesen ihres Charakters beurteilt werden.
Ich habe einen Traum, dass eines Tages unten in Alabama mit den brutalen Rassisten, mit einem Gouverneur, von dessen Lippen Worte der Einsprüche und Annullierungen tropfen, dass eines Tages wirklich in Alabama kleine schwarze Jungen und Mädchen mit kleinen weißen Jungen und weißen Mädchen als Schwestern und Brüder Hände halten können.
Ich habe einen Traum, dass eines Tages jedes Tal erhöht und jeder Hügel und Berg erniedrigt werden. Die unebenen Plätze werden flach und die gewundenen Plätze gerade, und die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden und alles Fleisch miteinander wird es sehen. Dies ist unsere Hoffnung.
Dies ist der Glaube, mit dem ich in den Süden zurückgehen werde. Mit diesem Glauben werden wir den Berg der Verzweiflung behauen und in einen Stein der Hoffnung verwandeln.