Die Heilung am Teich Betesda (Johannes 5,1-18) – Jesus als Quelle des Lebens

Vorüberlegungen
Das Johannesevangelium berichtet mehrfach von einem Besuch Jesu in Jerusalem. Am Teich von Betesda, die als eine wundertätige Heilquelle bekannt ist, wartet ein Kranker schon seit 38 Jahren vergeblich auf einen, der ihn rechtzeitig zur sprudelnden Heilquelle trägt. Jesus spricht mit ihm und heilt ihn mit der ihm verliehenen Gotteskraft. In der Erzählung wird dies mit einem der „Ich-bin-Worte“ verbunden, die das Johannesevangelium kennzeichnen (z.B. Brot des Lebens, Weinstock u.a.): Jesus ist für diesen Mann zur Quelle seines neuen Lebens geworden. Das regt an, diese Kennzeichnung von Jesu Wirken auch in anderen seiner heilenden Zuwendungen zu Menschen in Not wiederzufinden.

Erzählung
Wieder einmal sitzt Eliab am Rand eines der Wasserbecken , der in den Fels hinein geschlagenen Teiche - hier im Heilbad von Betesda nahe Jerusalem. Etliche Kranke blicken mit ihm erwartungsvoll auf das Wasser, dessen Oberfläche noch glatt und unbewegt vor ihnen liegt. Es ist eine gespannte Stille. Eliab kann hören, wie neben ihm zwei Personen leise, kaum wahrnehmbar miteinander reden. Die meisten Worte kann er verstehen. Da erklärt der eine einem neu Dazugekommenen, was ihn hier erwartet: „Das Wasser in diesem Becken wird von einer Quelle gespeist“, flüstert er. „Und diese Quelle hat die besondere Heilkraft. Darum sind auch so viele Kranke hier“. „Kann man diese Quelle sehen?“ fragt der andere leise zurück. „Nein, antwortet der erste“, denn die ist ganz unten unter dem Boden des Teichbeckens“. Er besinnt sich kurz und spricht dann weiter: „Aber eigentlich kann man sie doch sehen. Es ist nämlich eine Quelle, die in unregelmäßigen Abständen ihr heilsames Wasser nach oben drückt. Dann kräuselt sich die Wasseroberfläche. Noch bevor sich dieses Quellwasser mit dem anderen Wasser vermischt, hat es seine Heilkraft. Wer genau in diesem Moment im Wasser an dieser Stelle bei der Quelle ist, darf auf Heilung hoffen. Die Leute sagen, es ist eine richtige Heil- und Lebensquelle. Wenn sich das Wasser bewegt, dann ist es, als ob ein Engel, ein Bote Gottes mit seiner Kraft über die Wasseroberfläche streicht“. Jetzt sind die beiden wieder still. Wie all die anderen blicken sie und auch Eliab voll innerer Anspannung auf das Wasser.

„Warum tue ich mir das eigentlich noch an“, denkt sich Eliab. „Seit 38 Jahren warte ich nun, dass auch ich einmal der erste im Wasser sein kann, wenn die Lebensquelle aufsprudelt, wenn der unsichtbare Bote Gottes ihr die Kraft dazu gibt. Noch nie habe ich es geschafft. Warum sollte das gerade heute sein?“ Er weiß eigentlich selbst nicht, warum er mit den anderen da sitzt und angestrengt wartet.

Da, das Wasser kräuselt sich. Bewegung kommt in die Menschen am Beckenrand. Der erste ist bei der Quelle, taucht ein und unter. Die Anspannung verfliegt bei allen anderen. Enttäuschung macht sich breit. Und wieder ist es diese mühsame Ruhe des Wartens. „Ach“, träumt Eliab vor sich hin, „wie schön wäre es doch, wenn mich dieser Engel zur rechten Zeit einfach an die Hand nehmen und mich mit seiner großen Kraft ganz schnell zur Quelle hintragen würde!“ Aber dann wirft er enttäuscht diesen Wunschgedanken weg und murmelt vor sich hin: „Es hat ja doch keinen Sinn. Der Engel ist immer nur für die Schnellsten da. Und zu denen gehöre ich leider nicht dazu“.

Bei einem weiteren Strahl der Quelle und der dabei entstandenen Unruhe nimmt ein anderer Besucher neben ihm Platz. Auch er betrachtet eine Weile das Wasser. Dann hört Eliab, wie er ihn leise anspricht: „Wartest du schon lange auf die Lebensquelle, auf die Kraft des Gottesboten?“ „Eliab seufzt still und antwortet mit bitterem Ton: „38 Jahre lang! Ich glaube, Gott hat mich einfach vergessen“. Er flüstert weiter und wundert sich selbst darüber, weil er sein Gegenüber ja noch gar nicht richtig kennt. „Ein Priester sagte mir, dass meine Krankheit etwas mit meinen Sünden zu tun hat. Aber ich kann das nicht verstehen. Ich grübele so oft darüber nach, ohne eine Antwort zu finden. Und dann überfällt mich immer eine abgrundtiefe Enttäuschung. Die macht mich müde und matt und unfähig, irgendetwas zu tun“.

Er hält inne, wendet sich seinem Gesprächspartner zu und flüstert in fragendem Ton: „Ob das etwas mit meiner Krankheit zu tun hat?“ Er blickt seinem Gegenüber aufmerksam ins Gesicht und spricht weiter: „Ich möchte doch so gerne wieder richtiges Leben in mir spüren!“ „Komm mit“, sagt der, „lass uns ein Plätzchen suchen, an dem wir in Ruhe weiterreden können“. Eliab steht auf, obwohl es wegen seiner Unbeweglichkeit sehr mühsam für ihn ist. Er wundert sich erneut, wie einfach, selbstverständlich, ja wie angenehm es ist, was hier in der Begegnung mit dem Fremden mit ihm geschieht. Es ist alles ganz anders als zuvor. Da hatte er eigentlich gar nicht mehr gewusst, warum er überhaupt noch hier ist. Jetzt spürt und weiß er, dass dieser Fremde ihm Wichtiges zu sagen hat.

Bald darauf sitzen die beiden in einer der Nischen des Badehauses zusammen. Da können sie ungestört reden. Der Fremde ist ihm jetzt überhaupt nicht mehr fremd. Wohltuend spürt er die Nähe zu ihm. „Eliab“, sagt der, „vergeblich hast du jahrelang auf die Engelskraft und heilende Wirkung der Quelle auf dich gewartet. Immer nur war sie für andere da. Aber jetzt sage ich dir: „Heute ist sie für dich da, heute, jetzt!“ Erstaunt schaut Eliab seinen neuen Freund an, und der spricht weiter: „Ich bin heute für dich die Quelle des Lebens! Ich bin für dich der Engel, der Bote Gottes, mit der Kraft Gottes, die aufrichten und heilen kann. Das ist mein Auftrag von Gott. Spüre das neue Leben in dir! Lass die lähmenden Gedanken und Enttäuschungen hinter dir. Steh auf! Gehe mit Gottes Kraft in dein neues Leben hinein!“

Eliab erlebt voller Erstaunen, wie diese Worte tief in ihn eindringen. Er spürt die Kraft, die ihn wieder lebendig macht. Wie selbstverständlich steht er auf, geht seine Schritte, jeder ein Schritt in sein neues Leben, so wie es der Gottesbote gesagt hat. Er braucht jetzt das Wasserbecken mit der heilenden Quelle nicht mehr. „Danke, dass du für mich zur Quelle des Lebens geworden ist“, sagt er. „Dann fügt er noch nachdenklich an: „Noch vor einer Stunde hätte ich mir überhaupt nicht vorstellen können, wie Worte voller Kraft und Macht zu einer Lebensquelle werden können – dass mir ein Gottesbote begegnet, der mir mit der Kraft Gottes ein neues Leben schenkt“. „Danke Gott“, antwortet der. „Er ist es, der Wunder tut!“

Als sich sein Lebensretter verabschiedet hat, da weiß Eliab auch, was er in den nächsten Tagen zu tun hat. Auf eigenen Beinen wird er sich auf den Weg machen, um mehr über diesen Menschen, diesen Mann mit göttlicher Kraft zu erfahren, der ihm zum Gottesgeschenk geworden ist.

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