Das goldene Stierbild (2. Mose 32) - Bilder von Gott und ihre Gefahren

 

Vorüberlegungen

Das Verbot, sich von dem unsichtbaren einzigen Gott ein Bild zu machen, begleitet die Geschichte des Monotheismus in Judentum, Christentum und Islam. Zwar finden sich vor allem in den Psalmen bildhafte Gleichnisse für Gott: Gott als Fels, als Sonne, als Schirm u.a. Aber in Judentum und Islam werden menschliche Bilder von Gott streng abgelehnt. Im christlichen Glauben ist mit Jesus Christus der unsichtbare Gott den Seinen menschlich besonders nahe gekommen. Das hat später in der Malerei das Tor zu den bekannten Bildern des bärtigen Gott-Vaters geöffnet – samt der Gefahr, die inneren Vorstellungsbilder von Gott auf das Klischee vom Mann mit Bart einzuengen.

Die Erzählung, die aus der Sicht von zwei fiktiven Kindern gestaltet ist, weist auf diese Gefahr hin, wenn innere Bilder in all ihrer Vielfalt und Begrenztheit zu äußerlich prägenden Bildern werden.

Der biblische Text ist in der Zeit der Wüstenwanderung angesiedelt, die nach der Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei ins sog. „Gelobte Land“ als neuer Heimat führt. In der Überlieferungsgeschichte dieses Textes hat auch die Jahrhunderte nach dieser Nomadenzeit stattgefundene Auseinandersetzung Israels mit anderen Religionen und dort auch mit der Gottesverehrung in einem Stierbild ihre Spuren hinterlassen.

 

Erzählung

Ruben und Mirjam treffen sich abseits der Zelte. So weit sie sich erinnern können, ist ihr Leben mit den Zelten verbunden. Es ist ein Leben auf Wanderschaft, meistens durch dürre Gegenden und immer auf der Suche nach Wasserquellen und Weideland für die Tiere. Wenn die Familien abends in den Zelten beieinandersitzen, erzählen die Erwachsenen oft von früher, von der Zeit der Gefangenschaft in Ägypten, von der Befreiung durch Gottes Hilfe und von Mose, der sie als Bote Gottes bis hierher sicher geführt hat. 

Heute erkunden die beiden wieder die Gegend. Jeder neue Rastplatz weckt ihre Neugierde. Hier ist es der große Berg Sinai, der heilige Berg, wie die Leute sagen – ein Berg, auf dem man Gott begegnen kann. Nur Mose darf hinaufsteigen, denn er ist beauftragt, das Volk nach Gottes Willen zu führen.

Ruben sagt zu Mirjam: „Mose ist jetzt schon einige Tage weg. Sicherlich ist er wieder auf dem heiligen Berg und spricht dort mit Gott.“ „Wie stellst du dir eigentlich Gott vor?“ fragt Mirjam. „Groß und stark und stärker als alle Menschen sind“, antwortet der Freund. „Stärker als Menschen sind viele Tiere“, sagt Mirjam, „zum Beispiel Stiere, die große Schlitten mit schweren Sachen darauf hinter sich herziehen können.“ „Du willst dir doch wohl Gott nicht als ein Tier vorstellen?“ fragt Ruben zurück. „Nein“, sagt Mirjam schnell. „Andere Stämme haben Stiere als Götter und beten sie an, aber wir dürfen das nicht tun, hat Mose gesagt, denn unser Gott ist unsichtbar“. Ruben meint: „Aber es wäre eigentlich ganz gut, wenn man etwas von Gott sehen könnte, wenn man sich ihn vorstellen kann.“ Dann fügt er noch an: „ Wenn ich zu Gott bete, stelle ich ihn mir wie einen Menschen vor.“ – „Ich auch“, sagt Mirjam. „Das ist ja wohl nicht verboten!“

„Schau mal, was da vorne los ist!“ rufen beide gleichzeitig. „Aaron spricht als Moses Stellvertreter und die Leute hören ihm alle zu. Komm, wir wollen auch erfahren, was er zu sagen hat“. Als sie bei der Gruppe angekommen sind, hören sie gerade, wie einer laut seine Meinung äußert: „Alle Menschen haben ein Recht darauf, sich Gott vorzustellen und Bilder von ihm zu haben. Warum soll nur Mose ganz nahe bei Gott sein und ihn dort oben auf dem Berg sehen?“ „So nahe, dass er wohl gar nicht mehr zu uns zurückkommen mag“, ruft jemand dazwischen. Aaron antwortet: „Es ist bestimmt nicht verboten, dass wir Bilder von Gott in unseren Herzen tragen. Mir gefällt dabei vor allem, dass wir gute Erfahrungen mit Gottes Stärke gemacht haben. Sie hat uns aus Ägypten geführt, uns von dem mächtigen Pharao befreit. Ich möchte mir immer Gottes Stärke vor Augen stellen. Deswegen denke ich an ein Bild großer Kraft“. Er zögert jetzt etwas und ergänzt: „nämlich an das Bild eines Stieres“.

Mirjam und Ruben schauen sich überrascht an: Darüber haben sie doch gerade auch gesprochen. Die Leute nicken. „Wenn ihr auch so denkt,“ fährt Aaron fort, „dann wollen wir das Bild eines Stiers machen, damit wir uns mit seiner Unterstützung Gottes Kraft möglichst gut vorstellen können.“ Die Versammelten nicken wieder. „Aus welchem Material soll es sein?“ fragt jemand. „Aus dem besten natürlich“, antwortet Aaron, „aus Gold“. Die Leute schauen sich unsicher an. „Eure Frauen haben doch noch Goldschmuck versteckt!“ spricht Aaron weiter. „Aber das ist ihr Schutz für besondere Vorkommnisse und Not“ wendet jemand ein. Da fragt Aaron streng: „Wollt ihr ein Bild vom starken Gott oder wollt ihr es nicht?“ Die Leute nicken zustimmend. „Dann müsst ihr das Gold bringen, und wir machen daraus ein Stierbild. Mit ihm wollen wir unseren Gott ehren“, stellt Aaron abschließend fest.

Mirjam wird auf einmal unruhig. „Den Schmuck, den meine Mutter hat, den sollte eigentlich ich bekommen, wenn ich groß bin“ flüstert sie Ruben zu. „Das ist jetzt wohl vorbei“, meint der. Die Leute verschwinden in den Zelten, kommen mit Goldreifen und -ketten wieder. Aaron befiehlt, was zu geschehen hat, und dann verschwindet er in dem Zelt, in dem nun die Goldschmiede am Werk sind.

Nach ein paar Tagen ist das Bild fertig. Aaron versammelt alle und ordnet an: „Das Bild muss gebührend gefeiert werden! Es soll uns immer daran erinnern, dass Gott an uns seine Stärke erwiesen hat.“ Er baut vor dem Stierbild einen Altar auf und betet zu Gott. Die versammelten Israeliten schauen andächtig auf das Bild, Lieder erklingen, die Leute kommen näher und umringen das Bild. Sie rufen Gott an, immer heftiger. Die ersten küssen das Bild, fallen vor ihm zu Boden. Andere fangen an zu tanzen, um das Bild herum. „Du bist unser starker Gott“ singen sie. Ruben sagt leise zu Mirjam: „Mir ist nicht wohl dabei, was die Leute da tun. Das Bild soll doch nur eine Hilfe sein, um besser an unseren unsichtbaren Gott denken zu können. Aber jetzt tun sie so, als ob der goldene Stier selbst unser Gott ist“. Mirjam nickt zustimmend.

Plötzlich ist es still. Alle schauen zum Berg hin. Dort steht Mose, mit zornrotem Gesicht. „Unser Gott ist kein Bild, keine Figur, kein Ding“, ruft er laut und deutlich. „Unser Gott zeigt uns seine Stärke in dem, was wir von ihm Gutes erleben! Unser Gott geht unsichtbar mit uns mit!“ Dann wendet er sich an Aaron: „Wie konntest du das zulassen? Wie kommst du dazu, ein Götterbild zu formen?“ Voller Abscheu schaut Mose auf das Bild. Aaron versucht sich zu verteidigen: „Jeder Mensch braucht doch eine Vorstellung von Gott“, sagt er kleinlaut. „Du warst ja auf dem Berg, bei Gott, aber wir? Wir brauchen doch auch etwas Sichtbares als Zeichen dafür, dass Gott bei uns ist!“

Mose erwidert: „Und in eurer Begeisterung betet ihr dieses Bild wie einen Gott an!“ Das ist der Verrat unseres unsichtbaren Gottes!“ Dann hält er kurz inne und fährt mit ruhigerer Stimme fort: „Ich habe hier ein anderes sichtbares Zeichen für Gott“. Er hält zwei Tafeln aus Stein hoch. „Auf diesen Tafeln steht, wer Gott für uns ist!“ Und er fängt an zu lesen: „Ich bin euer Gott, der euch aus Ägyptenland geführt hat. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Du sollst dir kein Bildnis von mit machen“. Er liest weiter die anderen Gebots-Sätze auf beiden Tafeln vor und betont dann abschließend: „Diese Tafeln werden uns an Gott erinnern!“

Ruben und Mirjam sind ganz gebannt. Am Abend sprechen die beiden mit ihren Eltern darüber. „Ich glaube, Mose hat schon Recht“, sagt der Vater. „Ein Bild von Gott wird schnell zu Gott selbst.“ – „Die Tafeln, die kann man ganz bestimmt nicht mit Gott verwechseln“, ergänzt Mirjam. „Und mein Bild von Gott, das bleibt in meinem Kopf“, sagt Ruben. „Oder ich male es in den Sand!“ – „Wenn es zu keinem Götterbild wird, dann ist da keine Gefahr“ antwortet der Vater. Ruben und auch die anderen sind damit zufrieden.

 

Gesprächsanregungen

  • Mirjam und Ruben haben sich über Vorstellungen von Gott ausgetauscht. An welche könnt ihr euch erinnern?
  • Wie passen diese Bilder von Gottes Stärke und Gott in Menschengestalt zu euren eigenen Vorstellungen von Gott?
  • Mose reagierte zornig. Worin siehst du den Grund für diesen Zorn? Sage ihn uns mit deinen eigenen Worten.
  • Aaron gesteht Mose gegenüber ein, dass er einen Fehler gemacht hat. Wie würdest du diesen Fehler mit deinen eigenen Worten benennen?
  • Mose bietet die Gesetzestafeln als Hilfe für Vorstellungen von Gott an. Wärst du mit diesem Angebot zufrieden? Was müsste deiner Meinung nach dazu kommen?
  • Jesus hat in vielen Bildern und Gleichnissen von Gott gesprochen. An welche kannst du dich erinnern?
  • Wie passen diese Bilder zum biblischen Bilderverbot aus unserer Geschichte?

Zurück zu Geschichte des Monats

Zum Beitrag zu Gottesvorstellungen der Kinder