Dezember 2015
Merve und das Krippenspiel
Ziele:
- Gemeinsamkeiten der Geschichten von Jesu Geburt in Bibel und Koran kennenlernen
- wahrnehmen, dass zum Krippenspiel und weihnachtlichen Feiern Christen und Muslime eingeladen sind
Gemeinsamkeiten zwischen Bibel und Koran sind noch weithin unbekannt. Das gilt besonders für die Geschichte von der Geburt Jesu und die von seiner Mutter Maria, obwohl sie im Koran verhältnismäßig breiten Raum einnehmen. In der folgenden Erzählung werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede benannt. Dabei soll deutlich werden, dass aufgrund der Gemeinsamkeiten und trotz der Unterschiede alle, Christen und Muslime, in der Geschichte von Jesu Geburt und dem jährlichen Krippenspiel ihre eigene Rolle finden können. Die Erzählung entwickelt sich aus der Frage heraus, ob ein muslimisches Mädchen im Krippenspiel die Maria spielen darf.
Erzählung
Das Spiel zum Martinsfest ist noch nicht lange her, und schon geht es um das nächste große Spiel, das Krippenspiel vor Weihnachten. Die Kinder überlegen sich, welche Person aus der Weihnachtsgeschichte sie gerne sein möchten. Schnell ist klar, dass alle Mädchen die Maria spielen wollen. Aber das geht ja nicht. Deshalb einigen sie sich darauf, dass ausgelost wird, wer in diesem Jahr die Maria sein darf. Die Erzieherin, Frau Schuster, hat zusammengefaltete Zettel vorbereitet, für jedes Mädchen einen. Nur auf einem Zettel steht der Name ‚Maria‘. Vorsichtig zieht ein Kind nach dem anderen einen Zettel – und macht ein enttäuschtes Gesicht. Doch dann ein strahlendes Lächeln von Merve: Sie hat den Zettel gezogen, auf dem ‚Maria‘ steht. Sie freut sich riesig.
Anschließend sitzen die Kinder noch im Morgenkreis beisammen und sprechen darüber, worauf sie sich an Weihnachten ganz besonders freuen. Natürlich geht es viel um die Geschenke, aber auch um den Besuch von Großeltern, um das festlich geschmückte Weihnachtszimmer, um die Weihnachtskrippe, die jedes Jahr ein bisschen anders aussieht. Als Merve dran ist, weiß sie nichts zu erzählen. Ihre Familie ist muslimisch und da wird Weihnachten nicht gefeiert. Ein paar Geschenke gibt es schon, aber kein großes Fest.
Am nächsten Tag, als gerade Karinas Mutter mit Frau Schuster spricht, hört sie ihren Namen und lauscht nun neugierig, was die beiden wohl über sie reden. Und dann erschrickt sie. Karinas Mutter meint nämlich, dass Merve gar nicht die Maria spielen darf, weil sie doch keine Christin ist, sondern dem Islam angehört. Sie sagt: „Weihnachten aber ist das Fest der Christen, nur sie verehren Jesus Christus und auch seine Mutter Maria. Die Maria darf nur ein Kind spielen, das den christlichen Glauben hat“. An so etwas hat Merve überhaupt nicht gedacht. Sie kann es kaum erwarten, bis sie zuhause ist und bestürmt dann die Mutter mit Fragen und immer wieder mit der großen Bitte: „Du musst unbedingt mit Frau Schuster reden. Ich will nämlich die Maria spielen. Haben wir Muslime denn etwas gegen Maria?“ Die Mutter zögert mit der Antwort, aber dann hat sie eine Idee. „Weißt du was? Wir gehen heute Abend zu Herrn Köktas, unserem Nachbar. Der ist doch auch Muslim und kennt sich sehr gut mit unserer Religion aus. Er weiß, was in unserem heiligen Buch, dem Koran, steht und kann uns sagen, wie das mit Maria ist. Dann kann ich besser mit Frau Schuster reden“.
Herr Köktas hat Zeit. Er hört sich die Fragen der beiden an, und dann erzählt er: „Im Koran steht, dass Jesus auch für unseren Glauben eine sehr wichtige Person ist, nämlich ein ganz großer Prophet. Er hat den Menschen von Gott erzählt, den wir Allah nennen, hat mit seiner Kraft von Gott viel Gutes getan und Wunder bewirkt“. Merve nickt. „Über Jesus haben wir in der Kita schon viel gehört“. Herr Köktas antwortet: „Unser Prophet, gepriesen sei er, ist für uns Moslems freilich der wichtigste, aber weil wir Jesus achten, gilt das auch für seine Mutter Maria“.
Jetzt ist Merve auf einmal ganz aufgeregt: „Das heißt also, dass auch für uns Muslime Jesu Geburt und seine Mutter Maria sehr wichtig sind? Dann darf ich doch die Maria spielen!“ Die Mutter meint: „Das müssen wir gleich morgen Frau Schuster erklären. Das Beste wäre natürlich, wenn wir unseren Herrn Köktas dazu mitnehmen könnten“. Der nickt zustimmend. Und so fragt die Mutter Frau Schuster am nächsten Tag, ob sie zu einem Gespräch zusammen mit Herrn Köktas bereit wäre. Die findet das eine gute Idee und macht gleich noch einen Vorschlag: „Wenn Herr Köktas dann auch zu uns in den Morgenkreis kommen könnte, um zu erzählen, ob und wie auch im Koran etwas von Jesu Geburt steht, dann wäre das eine feine Sache!“
Wenige Tage später ist es so weit. Herr Köktas wird zusammen mit Merves Mutter im Morgenkreis begrüßt, und Herr Köktas beginnt mit einer Frage: „Meint ihr, ob auch im heiligen Buch des Islam, dem Koran, von Jesu Geburt etwas steht?“ Die Kinder sind unsicher, einige nicken, anderen schütteln den Kopf, einige zucken mit den Schultern. Dann erzählt er: Die Geschichte von Jesu Geburt beginnt dort damit, dass Maria – wir sagen Maryam - bei einem Aufenthalt an einem einsamen Ort von einem Engel die Botschaft bekommt, dass sie einen Jungen zur Welt bringen wird, der Jesus – wir sagen Isa – heißen soll. Und dieser Jesus wird ein bedeutender Bote Gottes werden. Als seine Geburt nahe ist, zieht sich Maryam wieder an den einsamen Ort zurück. Denn diese Geburt hat nur mit ihr und Allah und dem Baby zu tun. Sie weiß: weil ihr Sohn ein ganz besonderes Kind sein wird, deshalb wird Allah selbst auch dafür sorgen, dass es ihr und dem Kind gut gehen wird. Bald nach der Geburt spürt sie großen Hunger und Durst. Ob Allah ihr wohl etwas zu essen und zu trinken geben wird? Aber wie soll das geschehen, hier mitten in der Wüste? Doch Allah kann große Wunder tun. Plötzlich hört sie ganz nahe bei sich ein sanftes Bächlein plätschern und sieht neben sich eine Dattelpalme, an der saftige, nahrhafte Datteln zum Pflücken einladen. Und so kann Maryam essen und trinken und ihr Kind versorgen – solange, bis sie sich entschließt, zusammen mit ihrem Kind in ihr Heimatdorf zurückzukehren“: Dann macht Herr Köktas eine Pause.
Mareike meint: „Das ist eine schöne, aber auch ein bisschen traurige Geschichte“. Und Sebastian ergänzt: „Die ist so ganz anders, als die aus der Bibel, die wir kennen“. Mira meldet sich: „Die könnte man auch gar nicht richtig spielen, weil ja nur eine Person vorkommt“.
Herr Köktas sagt: „So etwas wie Krippenspiele gibt es bei uns gar nicht“. Da fragt Sebastian: „Feiert ihr überhaupt Weihnachten?“ Herr Köktas antwortet: Nein, Weihnachten feiern wir nicht. Also, vor vielen Jahrhunderten, als der Gründer unserer Religion lebte, Mohammed, gepriesen sei er, da wurde auch bei
den Christen das Weihnachtsfest erst ganz wenig gefeiert. Für uns ist außerdem der Geburtstag Mohammeds sehr wichtig. Den feiern wir in diesem Jahr 2015 am 23. Dezember, also einen Tag vor dem Heiligen Abend“.
Merve hat die ganze Zeit nichts gesagt. Sie will doch wissen, ob sie die Maria wirklich spielen darf, und darum sagt sie jetzt: „Auch wenn wir Moslems Weihnachten nicht feiern und auch keine eigenen Krippenspiele haben, ist doch die Maria bei den Christen und bei den Moslems sehr wichtig. Darauf kommt es an, und darum will ich auch die Maria spielen“. Jetzt schaltet sich auch Frau Schuster ins Gespräch ein: „Gibt es irgend einen Grund, warum Merve nicht die Maria spielen darf?“ Die Kinder schütteln den Kopf. Mira meint: „Es kommt doch gar nicht darauf an, dass es genau die gleiche Geschichte ist, sondern dass man die Person mag, um die es geht. Und Merve mag die Maria und sie ist ja auch im Koran ganz wichtig. Maria und das Jesuskind sind in beiden Geschichten, in der Bibel und im Koran, die wichtigsten Personen“. Die anderen Kinder nicken zustimmend.
Da meldet sich Felix: „Und wie ist es mit Josef? Der kommt doch in der Geschichte vom Koran gar nicht vor. Achmed möchte doch gerne den Josef spielen. Darf er das?“ Herr Köktas antwortet: „Du hast Recht, Josef kommt in unserer Geschichte nicht vor. Aber auch in der Weihnachtsgeschichte der Bibel kommt er ganz wenig vor. Sebastian widerspricht: „Aber er hat doch auf dem Weg nach Bethlehem die Maria beschützt und ist von Tür zu Tür gegangen, um für eine gute Übernachtung zu sorgen und hat den Stall von Bethlehem schön hergerichtet“. Wieder schaltet sich Frau Schuster ein: „Das steht so aber nicht in der Bibel. Das hat man sich später erzählt und so die Geschichte ausgemalt. Felix sagt: „Dann kann Achmed also schon den Josef spielen“. – „Natürlich“, antwortet Herr Köktas. „Es geht doch bei dem Spiel um die Freude über die Geburt Jesu, den wir Isa nennen, an der wir alle teilnehmen, und dass so unsere beiden Geschichten zusammenpassen. Moslems und Christen glauben, dass Maria eine wunderbare Frau war, und dass sie uns mit ihrem Sohn Jesus einen wunderbaren Menschen geschenkt hat, und dass das eine große Wundertat Gottes war. Und weil das alles so gut zusammenpasst ist das auch wunderbar.“
Als sich Herr Köktas dann von den Kindern verabschiedet, sagt er noch: „Wenn ihr das Krippenspiel fertig geprobt habt, komme ich noch einmal, um es mir anzusehen. Und dann freue ich mich auch über die Hirten, die zur Krippe eilen, obwohl die nur in der Bibel vorkommen und nicht im Koran, aber das macht gar nichts, und bin gespannt, was sonst noch alles in eurem Spiel vorkommt“.
Gesprächsimpulse:
- Warum wohl hat Karinas Mutter gemeint, dass Merve nicht die Maria spielen soll?
- Was würdet ihr Karinas Mutter erklären, wenn sie am nächsten Tag in die Kita kommt?
- Was sind für euch die wichtigsten Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei den Geburtsgeschichten in der Bibel und im Koran?
- Was hättet ihr Herrn Köktas gerne noch gefragt?