Juni 2013
Beobachtungen am Opferkasten (Wer ist arm, wer ist reich?)
(Markus 12,41-44)
Ziele:
• neue Sichtweisen für das Verständnis von arm und reich gewinnen
• wahrnehmen, wie sich durch aufmerksames Beobachten und Bedenken das Beurteilen anderer Menschen verändern kann
• Jesus als klugen und kritischen Beobachter kennenlernen
Es sind nur wenige Zeilen im Markus- und im Lukasevangelium, in denen Jesus die gängige Wahrnehmung von ‚arm’ und ‚reich’ durchbricht und zu ganz anderen Maßstäben und Beurteilungen kommt.
Schauplatz dieser kurzen Episode ist einer der Opferkästen im Vorhof des Jerusalemer Tempels, in den die Besucher der Gottesdienste und Opferfeiern ihre Gaben einwerfen. Da sind zum einen die Reichen, die viel einlegen – womöglich so, dass ihre großzügige Spendenbereitschaft auch wahrgenommen und respektvoll registriert werden kann. Was sie geben, bestimmt den Ertrag der Sammelaktion – aus der Sicht der „Kirchenpfleger“ ist das entscheidend. Reich sein heißt da, großzügig sein zu können, ohne dass es einem weh tut, und damit viel Respekt, Anerkennung und Bewunderung bei anderen zu finden, besonders von denen, die davon profitieren.
Und dann kommt die arme Witwe, die nur wenig hat und deshalb auch nur wenig geben kann: Pfennige, die bei der Gesamtabrechung keine Rolle spielen. Und weil man auch sehen kann, was sie einlegt, ist ihre geringe Spende das Zeichen ihrer Armut.
Aber Jesus kehrt diese Sichtweise um: Sie hat von dem Wenigen, das ihr zum Leben bleibt, viel gegeben und damit auch besonders viel Großzügigkeit gezeigt, viel Spendenfreude, Einfühlungsvermögen in die Bedürftigkeit anderer, viel Bereitschaft zum echten Teilen, viel Nächstenliebe. Die großzügigen Spenden der Reichen, die von ihrem Überfluss ein bisschen abgeben, nehmen sich dem gegenüber gering aus: wenig echtes Teilen, wenig Bereitschaft zum Verzicht um der anderen willen, wenig wirkliches Einfühlungsvermögen in Armut und Not.
Im Gespräch mit den Jüngern lädt Jesus sie zu dieser anderen Sichtweise, zur Umkehrung des Üblichen ein. Gelingt es, auch die Kinder in solches Umdenken einzubeziehen, das „reich und arm“ nicht mehr nur nach den äußeren Maßstäben beurteilt, sondern nach dem, welche Haltung und Bereitschaft sich zeigt, welcher Umgang mit anderen, welches Maß an Einfühlungsvermögen in die Bedürfnisse anderer? Dann muss die Anerkennung anderer nicht länger nur von den äußerlichen Gegebenheiten abhängen, von dem, was sie haben und damit besonders Ansehen genießen.
Erst vor wenigen Stunden ist Jesus mit seinen Jüngern in Jerusalem angekommen. Sie sind durch eines der großen Tore in der Stadtmauer in das Gewirr der schmalen Gassen eingetreten und haben sich gleich auf den Weg zum großen Tempel gemacht, in dem täglich Gottesdienste gefeiert werden. Jetzt sind sie in der riesengroßen Vorhalle des Tempels mit seinen hohen Mauern und den verzierten Säulen. Überall stehen Leute in Grüppchen zusammen und reden miteinander.
Aufmerksam schauen sich die Freunde Jesu um. Ihr Blick bleibt an einem der runden, in heller Farbe leuchtenden Opferkästen hängen, in den die Besucher des Tempels ihre Spenden einwerfen. Mit ihnen werden die Menschen bezahlt, die hier arbeiten und auch Arme, damit sie sich Sachen kaufen können, die sie zum Leben brauchen. Bei diesem Opferkasten stehen auch einige Leute und schauen neugierig zu, wie die Besucher ihre Geldmünzen in das große Geldgefäß stecken. Die Jünger und Jesus stellen sich zu ihnen dazu.
Da kommt gerade ein Mann, dem man schon ansieht, dass er zu den Reichen gehört. Er trägt einen wertvollen Umhang und verzierte Ledersandalen. Er greift in seine Tasche, und kurz blitzt das Gold der Münze auf, die er nun langsam in den Opferkasten fallen lässt – unauffällig und doch so, dass es die anderen nicht übersehen können. Auf deren erstaunten Gesichtern kann man ablesen, dass es ein sehr hoher Betrag ist, den der reiche Gottesdienstbesucher gerade gespendet hat. Einer freut sich ganz besonders – das ist der Geldverwalter des Tempels. Dankbar und fast ein bisschen ehrfürchtig nickt er dem edlen Spender zu, der noch einmal in die Runde blickt und dann weitergeht.
Die Leute reden noch miteinander über dieses große Geldgeschenk des Reichen und achten kaum auf die alte Frau, die jetzt an den Opferkasten herantritt. Sie trägt abgewetzte Kleider und Schuhe. Man kann gleich sehen, dass sie mit sehr wenig Geld zum Leben auskommen muss. Sie bleibt stehen, sucht in ihrem Umhang nach Geld und nimmt eine Kupfermünze heraus. Die glänzt überhaupt nicht. Die Zuschauer achten schon wieder auf andere, die sich dem Opferkasten nähern und reden noch über den großzügigen Reichen. Die alte Frau kramt weiter in der Tasche, findet noch einen zweiten Pfennig, wirft auch ihn in den Kasten und geht dann unbeachtet weiter. Ihr nickt niemand zu.
Einer der Jünger meint: „Über das Goldstück hat der Tempelverwalter bestimmt mehr Freude als über die beiden Pfennige der Alten. Das hat man ja an seinem Blick gesehen. Ein Glück, dass es so großzügige Spender gibt. Mit den Pfennigen kann man ja kaum etwas anfangen. Die spielen in der Abrechung keine Rolle“.
Jesus wendet sich ihm zu und antwortet: „Ja, so seht ihr es. Dem Reichen gebührt großer Dank für seine edle Spende, von der armen Frau konnte man ja auch nicht mehr erwarten. Aber eigentlich ist es doch ganz anders: Die wertvolle Goldmünze, die hat den Reichen nicht arm gemacht, von denen hat er ja noch genug zuhause. Aber die beiden Pfennige der Frau waren ganz, ganz viel für sie. Die spürt jetzt genau, dass sie ihr fehlen. Und doch hat sie mit ganzem Herzen an diejenigen gedacht, für die die Spenden verwendet werden. Für den Reichen ist es kein Verlust, wohl aber für die Frau“.
Nachdenklich meint einer der Jünger: „Dann ist eigentlich die arme Frau viel reicher an Fürsorge, an Bereitschaft zum Geben und an Nächstenliebe als der Reiche. Der hat vielleicht mehr an sich und an sein Ansehen bei den anderen, besonders beim Tempelverwalter gedacht. Wenn man es so sieht, dann ist es ja mit ‚reich und arm’ noch mal ganz anders als auf den ersten Blick“. Und Jesus antwortet: „Ja, so ist es oft, dass man genauer hinsehen sollte und manches dann ganz anders aussieht!“
Gesprächsimpulse
- Wie hat Jesus das mit dem genauen Hinsehen wohl gemeint?
- Auf den ersten Blick konnten die Zuschauer beim Opferkasten gleich sehen, wer reich und wer arm ist. Ist es heute so ähnlich?
- Menschen können aber auch noch in ganz anderer Weise reich oder arm sein. Worin war wohl die alte Frau besonders reich, vielleicht sogar reicher als der Spender des Goldstücks? Versuche deine Meinung zu begründen?
- Es gibt noch vieles anderes, in dem Menschen reich (und arm) sein können. Was fällt dir ein?
- Welche dieser Reichtümer hältst du für besonders wichtig für das Leben und warum?
- Wie verstehst du die Worte Jesu: „Die arme Frau hat mehr gegeben als der reiche Mann“?
Hinweis: im Refrain das b wieder zum h auflösen!
1. Strophe
Refr. Wer ist arm, wer ist reich?
Jesus, sag es uns doch gleich!
Seht ihr dort den großen Mann,
hat den schönsten Mantel an,
stolz wirft er ein Goldstück ein
in den runden Opferstein.
2. Strophe
Refr. Wer so viel gibt, der ist reich,
ja, das sieht doch jeder gleich!
Und nun seht die alte Frau,
zählt ihr Geld jetzt ganz genau
und legt dann zwei Pfennig ein
in den runden Opferstein.
3. Strophe
Refr. Sie gibt wenig, ist nicht reich,
ja, das sieht doch jeder gleich!
Jesus sagt: Schaut hin genau,
mehr gegeben hat die Frau;
sie gab fast ihr ganzes Geld,
wo der Mann noch viel behält.
Refr. Anders ist, das seht ihr gleich,
Jesu Blick auf arm und reich.
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