Auf dreierlei ist beim Nacherzählen besonders zu achten
a) Eine anschauliche Vorgeschichte führt uns die Not der Jesus später begegnenden Person deutlich vor Augen. Körperliche, psychische und soziale Aspekte der Krankheit fließen da ineinander: Lähmung (Mk 2) meint auch Einschränkung aller Lebensenergien und Ausschluss von den Aktivitäten, in denen die Menschen um einen herum Bestätigung und Anerkennung finden. Blindsein (Mk 10) schließt von vielen Zugängen zu unserer Wirklichkeit aus, auch zu anderen Menschen, wenn Sprechen und Rufen von ihnen ignoriert werden. Der krumme Rücken (Lk 13) ist auch Ausdruck einer besonderen Last, die einen Menschen niederdrückt und einem den Mut nimmt, sich unbefangen unter den anderen zu bewegen. Davon erzählt eine dem biblischen Text vorangestellte Vorgeschichte mit einer Szene, die die Zuhörenden zielstrebig zu den negativen Lebenserfahrungen dieser kranken Menschen hin führt.
b) In der der heilsamen Begegnung mit Jesus geht es nicht so sehr um die Anschaulichkeit eines physischen Heilungsvorgangs, der ja nur die Zweifel an der Wirklichkeitsnähe dieses Geschehens wecken und nähren würde. Vielmehr steht die Autorität und Vollmacht im Blickpunkt, mit der Jesus in dessen Gegenüber so viel bewegt und verändert. Es ist die eindringlich zugesagte Nähe Gottes, die in der zentralen Szene der Begegnung zum Ausdruck kommen sollte. In biblischer Zeit waren Wunderheiler nichts Besonderes. Die Vollmacht Jesu, in der er anderen die wirksame Botschaft der Nähe Gottes zusprach, war das Besondere, Entscheidende in seinem Wirken. Da kommt es beim Erzählen auf eine wohldurchdachte Sprache an, die nicht in physischen Veränderungen, in deren Äußerlichkeit ihre Anschaulichkeit sucht. Sie sollte vielmehr diese Szene mit Botschaften des Glaubens füllen: „Du bist von Gott geliebt und geachtet wie jeder andere Mensch! Du sollst jetzt neu Gottes Liebe in deinem Leben erfahren! Du wirst von Gott die Kraft bekommen, dein Leben selbst in die Hand zu nehmen! Steh auf deinen eigenen Beinen und geh deinen Weg! Sei frei von dem, was dich niederdrückt und lähmt! Du sollst auf neue Weise deine Welt wahrnehmen können! Du gehörst zu den anderen dazu!“
c) Je nach dem Entwicklungsstand der Kinder und auch nach den eigenen Glaubensvorstellungen der Erzählenden können die Vorstellungen von der durch Jesus bewirkten Heilung ganz verschieden sein. Die Worte der Bibel sind da wie eine große Überschrift, die wir mit unseren auslegenden Vorstellungen füllen. Für jeden einzelnen gilt es da die vorher beschriebene Balance zwischen Realitätsbezug und Wunderbarem zu finden. Der Realitätsbezug macht die Geschichte in unserer Erfahrungswelt einschließlich unserer heutigen Erfahrungen mit Krankheit und Heilung fest. Der Ausblick auf das Wunderbare verdeutlicht die Hoffnungsbotschaft, dass durch Gottes Zuwendung neue Freude am Leben und Kraft zum Leben geschehen kann - samt Folgen, die kaum jemand für möglich gehalten hätte. Diese Balance ist der eigenen Nacherzählung nicht vorgegeben, nicht von vornherein festgelegt. Vielmehr gibt der in der Erzählung sorgsam formulierte Zuspruch Jesu den Raum frei, den die Zuhörenden dann mit ihren eigenen und je verschiedenen Gedanken und Vermutungen füllen können: von einer physischen Heilung, die von der Begegnung mit Jesus an mehr oder weniger schnell in Gang kam, bis zu einer neuen Lebenseinstellung des Geheilten, die ihn mit seinem Gebrechen ganz anders als bisher umgehen ließ.
Gilt das auch für die wunderhaften neutestamentlichen Auferstehungsgeschichten? Probieren wir es aus! Der Realitätsbezug erscheint in der tiefen Trauer der Frauen, die zum Grab kommen. In einer wunderbaren Begegnung wird sie ins Gegenteil, nämlich in unglaubliche Freude verwandelt. Das Wunderhaft-Geheimnisvolle sind die Erscheinungen zum einen des Engels und dann Jesu selbst, die den Menschen um Jesus eine ganz neue Sicht eröffnen.
Was heißt das für das Erzählen?
a) Die Vorgeschichte braucht Raum. Sie erzählt davon, wie mit Jesu Tod all die guten Erfahrungen mit ihm abgebrochen sind. Die Vollmacht Jesu, in der er Gottes Nähe verkündete und zeigte, ist erloschen. Mit Jesu Tod ist auch das zuende, was er bewirkt hat.
b) In der Begegnungsszene kommt es weniger auf die Äußerlichkeit des Geschehens an, als vielmehr auf das genaue Erzählen von der Botschaft: Jesus ist lebendig bei Gott und in euch! Nichts von dem, was ihr erfahren habt, ist zuende! Was Jesus euch gebracht hat, wird neue Kreise ziehen – durch euch! Gottes Kraft, die ihr in Jesus erlebt habt, die werdet ihr jetzt in euch selbst spüren!
c) Und dann öffnet sich die Bandbreite der Vorstellungen davon, was denn nun für die Frauen und dann auch für die Jünger an der Erfahrung der Auferstehung Jesu Christi das Entscheidende, Bewegende war.
Weiter: Geschichten gegen den üblichen Strich gebürstet